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Multipolare Weltordnung

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Der Begriff Multipolare Weltordnung ist ein politologischer Terminus, der eine weltpolitische Ordnung bezeichnet, für die es kennzeichnend ist, dass es mehrere mächtige Staaten gibt, sodass die Machtzentren bzw. Akteure über die Welt verteilt sind. Die multipolare Weltordnung schließt die Bildung von zwischen­staatlichen Dominanz­verhältnissen nicht aus, sondern begünstigt die Entstehung von unterschiedlich gearteten Abhängigkeits­verhältnissen mehrerer Staaten von dem räumlich am nächsten gelegenen, machtvollen und ein regionales Machtzentrum bildenden Staat, wodurch sich um die Staaten, die global­politische Machtzentren darstellen, Interessen- und Einfluss­sphären herausbilden.

Definition

Eine multipolare Weltordnung ist ein Begriff aus der Politologie[wp]. Sie beschreibt die globale Verteilung von Macht und das Verhältnis von Staaten.

Das Verhältnis von Staaten zueinander wird in der Politologie häufig durch Polaritäten charakterisiert. Neben der multipolaren Weltordnung kennt die Wissenschaft auch bi- und unipolare Zustände. Welches Machtverhältnis vorliegt, hängt von der Verteilung von Abhängigkeiten unter den Staaten ab.

Uni-, bi- und multipolare Machtverteilung

Unter einer unipolaren Weltordnung versteht man die Beherrschung zwischen­staatlicher Beziehungen durch einen dominanten Staat. In der politischen Forschung wird davon ausgegangen, dass dieser Zustand zu starken internationalen Anspannungen führt.

Die bipolare Machtverteilung besagt, dass zwei Staaten das Verhältnis aller Staaten zueinander dominieren. Diese Theorie wurde etwa für die Weltordnung in Zeiten des Kalten Krieges[wp] angenommen und beschrieb das Verhältnis zwischen den den USA und der Sowjetunion[wp].

Bei einer multipolaren Weltsicht ist die Verteilung der Macht ausgeglichen, das heißt, die Staaten haben ein gleichberechtigtes Verhältnis zueinander. Kein Staat dominiert den anderen.

Definition der Weltordnung

Welches Verhältnis vorliegt, wird in der politischen Wissenschaft durch die Abhängigkeit, die zwischen Staaten existiert, bestimmt.

Dabei gilt, je höher die Verwundbarkeit eines Staates durch die Beziehung zu einem anderen Staat, desto höher ist der Grad der Machtausübung des dominierenden Staates.

Die Verwundbarkeit ist dabei abhängig von der Verteilung der Machtmittel, die ein Staat besitzt. Hierzu zählen etwa wirtschaftliche Ressourcen, die Größe des Territoriums, aber auch militärische und soziale Faktoren.

Die Einteilung der Weltordnung nach Abhängigkeits­verhältnissen gehört zur Theorieschule des politischen Neoralismus[wp].

– Helpster[1]
Die Mär von der multipolaren Weltordnung: Hegemonie in der Sicherheits­politik des 21. Jahrhunderts

Multipolarität wird gern als Wunschvorstellung genannt, wenn es um die Weltordnung des 21. Jahrhunderts geht. Doch die Geschichte zeigt: Multipolarität ist ein Übergangs­zustand, der Instabilität und Krisen­anfälligkeit mit sich bringt. Hegemonie[wp] hingegen, im besten Falle wohlwollende, ist eine Konstante in der Sicherheits­politik, denn sie ist für einen längeren Zeitraum stabil. Doch was bedeutet diese Erkenntnis für Länder wie Deutschland und ihre Außen- und Sicherheits­politik heute?

Der vermeintliche Aufstieg Chinas, der angebliche Abstieg der USA und viele neue Mächte auf der Weltbühne - das Modewort der Zeit heißt Multipolarität. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob der bipolaren (Kalter Krieg[wp]) und unipolaren (USA in den 1990er Jahren) tatsächlich die viel beschworene multipolare Welt auf Dauer nachfolgt.

Eine Vielzahl von Hinweisen und ein Blick in die Vergangenheit zeigen nämlich, dass sich Multipolarität vor allem durch zwei Eigenschaften auszeichnet: Sie ist instabil und sie ist vorübergehend. Damit ist sie auch normativ problematisch, denn Instabilität und Krisen­anfälligkeit sind im Allgemeinen nicht erstrebenswert. Für die Sicherheits­politik ist ein ganz anderer Faktor entscheidend: Hegemonie.

Hegemonie klingt zunächst negativ, verbindet man mir ihr doch imperiale Systeme, deren innerer Zusammenhalt auf Autorität und Einschüchterung basiert. Es gibt aber auch den integrierenden Hegemon, der - wie etwa die USA in der NATO - die Souveränität von National­staaten weitgehend respektiert. Dieses hegemoniale System beruht auf Partizipation und Kooperation nach innen.

Was folgt daraus? Zum einen kann man die Ausrichtung der Außen- und Sicherheits­politik auf eine multipolare Welt (Institutionen, Organisations­strukturen und Verwendung von Ressourcen) kritisch hinterfragen. Zum anderen ergeben sich Schluss­folgerungen für die außen­politische Orientierung. Man kann Akzente setzen in den Beziehungen zu potentiellen Hegemonen und multipolaren Foren.

Hegemonie bestimmt die Sicherheits­politik, Multipolarität ist ein Zwischenstadium

Der Blick in die Geschichte zeigt, dass ein stabiles Machtgefüge meist von Hegemonie geprägt ist. Dabei gilt das Prinzip wonach einzig ein einzelner Staat, der Hegemon, eine sicherheits­politische Ordnung bereit­stellen und aufrecht­erhalten kann.

Es muss aber nicht immer derselbe Staat Hegemon sein, Wechsel sind möglich. Wenn der alte Hegemon durch einen neuen abgelöst wird, bestimmt eine Phase hegemonialer Transformation die weltweite Sicherheitslage. Diese Umbruchsphase ist von vorübergehender Multipolarität gekennzeichnet, die meist Instabilität und Krisen­anfälligkeit nach sich zieht. Gerade mittelgroße Mächte gewinnen in dieser Phase an sicherheits­politischem Einfluss, allerdings nur vorübergehend. Für diese mittelgroßen Länder eröffnet das eine Wahl zwischen aktiverer Außenpolitik auf regionaler und globaler Ebene einerseits und sicherheits­politischer Zurückhaltung andererseits.

Die Annahme, dass eine Gruppe solcher Staaten oder internationaler Organisationen im Sinne von Multi­lateralität bzw. Multipolarität dauerhaft in die Rolle des Hegemon schlüpft und dessen Aufgaben, also die Bereitstellung und Erhaltung einer globalen Sicherheits­architektur, übernimmt, erscheint fraglich. Eine multipolare Weltordnung ersetzt nicht die Vorherrschaft eines einzelnen Akteurs, sie ist lediglich charakteristisch für eine Übergangszeit.

Beispiel: Die G20 gelten als institutionalisierte Multipolarität. Auch wenn diese "Steuerungs­gruppe" in Fragen von Handels-, Wirtschafts-, und Finanz­politik durchaus Achtungs­erfolge erzielen konnte, ist ihre sicherheits­politische Bilanz schwach. Ganz im Gegenteil zur institutionalisierten Hegemonie der NATO und, für die Zeit seines Bestehens, des Warschauer Pakts[wp] in sicherheits­politischen Fragen. Hier garantiert ein Hegemon (die USA bzw. Sowjetunion) Ordnung und Handlungs­fähigkeit.

Das Beispiel des Warschauer Pakts zeigt die unmittelbare, schicksalhafte Verknüpfung von Ordnung im internationalen System mit dem Hegemon: Verliert der Hegemon Wille und Fähigkeit zur Aufrecht­erhaltung seiner Führungs­position, erodiert auch "seine" Sicherheits­ordnung.

Multipolarität bedeutet meist Instabilität und Krisenanfälligkeit

Warum aber ist Multipolarität instabil und krisen­anfällig? Ein historischer Vergleich zeigt, dass zwei Faktoren dabei entscheidend sind. Derzeit öffnet sich ein "Window of Opportunity" für Staaten, um ihren macht­politischen Einfluss zu vergrößern oder Grenzen zu verschieben (Russland-Ukraine-Krise, Nahost). Grund dafür ist, dass eine hegemoniale Ordnung, die eine Verschiebung des Status Quo verhindert, vorübergehend nicht vorherrscht. Darüber hinaus begründet die voranschreitende Globalisierung eine enge wirtschaftliche Vernetzung weltweit.

Eine vergleichbare Situation zeigt die Geschichte: Vor einhundert Jahren, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, drangen aufstrebende Mächte (das Deutsche Reich[wp], Russland, die USA) in globale Machtsphären vor und forderten das ihnen nach eigenem Dafürhalten zustehende Mitspracherecht in der Weltpolitik ein. Der damalige Hegemon Großbritannien befand sich im Abstieg und war nicht mehr in der Lage, diesen Bestrebungen Einhalt zu gebieten und die Weltordnung zu stabilisieren. Auch damals herrschte eine enge wirtschaftliche Verflechtung vor.

Die Parallelen sind offensichtlich: In beiden Phasen, am Anfang des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts, zeichnet sich durch den Aufstieg neuer Mächte Multipolarität ab. In beiden Phasen kann die enge wirtschaftliche Verflechtung den Ausbruch von Konflikten nicht verhindern. In beiden Phasen ist die sicherheits­politische Ordnung instabil und krisen­anfällig.

Und in beiden Phasen ist das Unvermögen der internationalen Gemeinschaft, Konflikte zu beenden und in Sicherheits­fragen Stabilität zu wahren, bezeichnend. Kurzum: Beide Phasen zeigen die Charakteristika einer Phase hegemonialer Transformation.

Im letzten Jahrhundert wüteten in Folge von Instabilität und Krisenanfälligkeit zwei Weltkriege, bis der Aufstieg der USA sowie vorübergehend der Sowjetunion als Hegemone die Ordnung wiederherstellte und eine stabile Sicherheits­architektur entstand.

Heute zeigen die Krisen und Konflikte in der Ukraine, im Nahen und Mittleren Osten, in Teilen Afrikas und wieder auf die Tagesordnung gehobene Territorial­streitigkeiten in Südostasien exemplarisch, dass die Sicherheitslage instabiler und krisen­anfälliger geworden ist. Gleichzeitig versinnbildlicht die folgenlos gebliebene Über­schreitung der von den USA gezogenen "Roten Linien" in Syrien, dass eine hegemoniale Ordnung derzeit nicht mehr existiert.

Ob sich die Konflikte unserer Zeit in historischer Analogie zu den Weltkriegen zu Flächen­bränden ausweiten, kann nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden. Zu erwarten ist jedoch, dass die hohe Anzahl derzeitiger Krisen und bewaffneter Konflikte in vielen Weltregionen ein vorübergehendes Phänomen bleibt, das im Zusammenhang mit multipolarer Instabilität steht.

Multipolarität: Indiz für einen Wechsel im System, aber nicht für einen Systemwechsel

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war die Annahme weit verbreitet, dass die USA als "einzig verbliebene Supermacht" der Hegemon unserer Zeit sind, der die globale Sicherheits­architektur in einer unipolaren Welt herstellt und aufrechterhält. Schlagworte wie "end of history"[wp] und "Friedensdividende"[wp] veranschaulichen die damalige Stimmung.

Heute hingegen wird über einen möglichen Abstieg der USA gemutmaßt. Gleichzeitig wird der Aufstieg neuer Mächte viel diskutiert. In erster Linie zählen dazu China, Indien und Brasilien. Zudem werden unter anderem Mexiko, Nigeria, Indonesien, die Türkei oder auch Deutschland als dauerhaft einflussreiche Akteure der Zukunft genannt. Dabei wird erwartet, dass sich regionaler Blöcke im macht­politischen Fahrwasser regionaler Führungsmächte herausbilden und im Ergebnis eine dauerhaft multipolar austarierte Weltordnung entsteht.

Der Ausgang dieser Entwicklung, also welche Staaten auf- und welche absteigen oder welche stagnieren werden, ist nicht vorherzusagen. Klar ist jedoch, dass die Weltordnung im Umbruch ist und der Einfluss von Staaten sich verschiebt. Viele der genannten Länder verfolgen eine selbstbewusste und eigenständige Außenpolitik, die sich vom "Westen" zunehmend emanzipiert.

Aber: Sowohl das Abflauen des Wirtschaftswachstums und politisch unruhige Verhältnisse in Brasilien, Russland oder der Türkei als auch die weiterhin starke Stellung der USA zeigen, dass diese Verschiebung von Einfluss nicht zwangsläufig dauerhaft sein muss. Strategische Veränderungen im Energie­sektor, gute Wirtschafts­perspektiven und die demographische Entwicklung weisen sogar darauf hin, dass der vermeintliche Niedergang Amerikas einmal mehr verfrüht verkündet wird. Wenn, dann ist offenbar ein Wechsel im System anzunehmen, ein Systemwechsel hingegen nicht.

Vorübergehende Multipolarität: Was bedeutet das für die Sicherheit?

Blickt man in die Kristallkugel, so kann die Phase hegemonialer Transformation auf zwei Arten verlaufen: Entweder vollzieht sich die Ablösung des Hegemon langwierig und gewaltfrei oder als gewaltsamer Umsturz in Form globaler Ausscheidungskriege. Dabei schwächen sich die beteiligten Akteure gegenseitig solange, bis ein einzelner national­staatlicher Akteur im relativen Verhältnis zu seinen Kontrahenten eine Position erlangt, die ihn zur Ausübung hegemonialer Dominanz befähigt.

Das größte Potential, in Zukunft die globale Sicherheits­politik zu bestimmen, kann den USA und China beigemessen werden, sowohl einzeln als auch gemeinsam (als G2). Beide Länder nutzen die Phase hegemonialer Transformation und die vorübergehende Multipolarität, um sich zu positionieren - das zeigen strategische Neu­ausrichtungen und die Artikulation langfristiger Ambitionen. Schlussfolgerungen: Was bedeutet das für die Debatte?

Entgegen der weit verbreiteten Ansicht vieler Beobachter und Experten muss die Welt im 21. Jahrhundert nicht unbedingt multipolar sein. Und: Auch wenn eine multipolare Welt gerechter erscheint, ist sie nicht unbedingt friedlicher und sicherer.

Integrierende Hegemonie, die Einbeziehung vieler Akteure unter der Vorherrschaft einer wohlwollenden Führungsmacht, hat in der Vergangenheit langfristig für sicherheits­politische Stabilität gesorgt. Der Abstieg eines Hegemon hingegen führt zu Instabilität und Krisen­anfälligkeit des internationalen Systems - das mögen jene Bedenken, die schon seit langem die Multipolarität als Heilsbringer für Frieden und Gerechtigkeit herbeisehnen.



Matthias Kennert[ext] arbeitet im Seminar für Sicherheitspolitik der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin. Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.


– Arbeitspapier Sicherheitspolitik, Nr. 5/2015 - Copyright: Bundesakademie für Sicherheitspolitik Seite 1/4
Kanzler Scholz im Interview mit dem Deutschlandfunk: "Die Welt wird multipolar werden"

In Zukunft wird die Welt eine multipolare sein, mit großen und erfolgreichen Nationen, zum Beispiel auch in Afrika und Asien. Darüber und wie er die globale Zusammenarbeit ausbauen möchte, hat Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem Deutschlandfunk gesprochen - und über sein jüngstes Telefonat mit Russlands Präsident Putin.

– Deutschlandfunk[2]

Russland und die multipolare Weltordnung

Putin

Die Valdai[wp]-Reden des russischen Präsidenten sind für Freund und Feind jedes Jahr ein geopolitisches Highlight, weil Putin sich dabei ausführlich über seine Sicht zur aktuellen Lage der internationalen Politik äußert und sich anschließend stundenlang den Fragen der Experten im Saal stellt. Auch dieses Jahr hat die Diskussion wieder über vier Stunden gedauert.

Hier übersetze ich die Eröffnungsrede von Präsident Putin, in der er mit den "Werten" des Westen abgerechnet und aufgezeigt hat, wohin sie führen. Für Putin, das ist offensichtlich, ist die Dominanz des Westens bereits Geschichte, in Putins Augen kämpft der Westen um sein Überleben. In den nächsten Tagen werde ich aus der Podiums­diskussion, die auf Putins Rede folgte, ausgewählte Fragen und Putins Antworten darauf übersetzen und veröffentlichen.

Heute beginnen wir mit seiner Rede, in der er zur weltweiten Zusammenarbeit und zu gegenseitigem Respekt aufruft und der Welt eine Alternative zur westlich geprägten Weltordnung anbietet. Besonders beeindruckt hat mich an Putins Rede, wie er sich an die Menschen im Westen wendet und ihnen die Hand in dem Wissen ausstreckt, dass auch dort viele Menschen nicht mit dem einverstanden sind, was ihre Regierungen tun.

Zitat: «Sehr geehrte Teilnehmer der Plenarsitzung! Meine Damen und Herren! Freunde!

Ich habe einen kleinen Einblick in die Diskussionen bekommen, die hier in den vergangenen Tagen stattgefunden haben, sie waren sehr interessant und informativ. Ich hoffe, dass Sie es nicht bereut haben, nach Russland gekommen zu sein, und miteinander reden.

Es ist schön, Sie alle zu sehen.

Beim Valdai-Club[wp] haben wir mehr als einmal über die Veränderungen gesprochen, die gravierenden, großen Veränderungen, die in der Welt stattgefunden haben und weiterhin stattfinden, über die Risiken, die mit dem Abbau der globalen Institutionen, der Aushöhlung der Grundsätze der kollektiven Sicherheit, der Ersetzung des Völkerrechts durch so genannte Regeln verbunden sind - ich wollte sagen, Regeln, die von irgendwem ausgearbeitet wurden, aber das ist wahrscheinlich ungenau ausdrückt - es ist überhaupt nicht klar, wer sie ausgearbeitet hat, worauf diese Regeln beruhen, was in ihnen steckt. (Anm. d. Übers.: Damit meint Putin die vom Westen ausgerufene "regelbasierte Weltordnung" - hier finden Sie mehr Informationen darüber, was hinter dem Begriff steckt)

Offensichtlich wird nur versucht, eine einzige Regel aufzustellen, damit die Mächtigen - wir sprechen jetzt von Macht, ich spreche von globaler Macht - ohne jegliche Regeln leben und tun können, was sie wollen, mit allem durchkommen, was sie wollen. Tatsächlich sind das die Regeln, von denen man uns ständig erzählt.

Der Wert der Valdai-Diskussionen besteht darin, dass hier die verschiedensten Einschätzungen und Prognosen abgegeben werden. Wie richtig sie waren, zeigt das Leben selbst, das Leben, der strengste und objektivste Prüfer. Er zeigt, wie wahr die Inhalte unserer Diskussionen in den vergangenen Jahren waren.

Leider entwickeln sich die Ereignisse weiterhin nach dem negativen Szenario, über das wir bei unseren früheren Treffen mehr als einmal gesprochen haben. Darüber hinaus haben sich diese Ereignisse zu einer umfassenden Systemkrise entwickelt, nicht nur im militär-politischen Bereich, sondern auch im wirtschaftlichen und humanitären Bereich.

Der so genannte Westen - das ist natürlich im übertragenden Sinn gemeint, denn es gibt dort keine Einigkeit - ist verständlicherweise ein sehr kompliziertes Konglomerat, dennoch kann man sagen, dass dieser Westen in den letzten Jahren, und insbesondere in den letzten Monaten, eine Reihe von Schritten zur Eskalation unternommen hat. Genau genommen setzt er immer auf Eskalation, das ist nicht neu. Das sind die Anzettelung des Krieges in der Ukraine, die Provokationen rund um Taiwan und die Destabilisierung der globalen Lebensmittel- und Energie­märkte. Letzteres geschah natürlich nicht absichtlich, daran besteht kein Zweifel, sondern aufgrund einer Reihe von systematischen Fehlern genau jener westlichen Regierungen, die ich bereits erwähnt habe. Und wie wir jetzt sehen, kam auch noch die Zerstörung der paneuropäischen Gaspipelines dazu. Das ist unvorstellbar, aber wir sind trotzdem Zeugen dieser traurigen Ereignisse.

Die Macht über die Welt ist genau das, worauf der so genannte Westen gesetzt hat. Aber dieses Spiel ist mit Sicherheit ein gefährliches, blutiges und, ich würde sagen, schmutziges Spiel. Es leugnet die Souveränität von Ländern und Völkern, ihre Identität und Einzigartigkeit und ignoriert die Interessen anderer Staaten. Zumindest dann, wenn es diese Interessen nicht ausdrücklich abstreitet, wird es in der Praxis aber genau so gehandhabt. Niemand, außer denen, die die genannten Regeln formulieren, hat das Recht, seine eigene Identität zu entwickeln: Alle anderen müssen sich diesen Regeln unterordnen.

In diesem Zusammenhang möchte ich Sie an die Vorschläge Russlands an die westlichen Partner zur Vertrauens­bildung und zum Aufbau eines Systems kollektiver Sicherheit erinnern. Im vergangenen Dezember wurden sie wieder einmal einfach beiseite geschoben. (Anm. d. Übers.: Die Details zu dem Vorschlag von Russland an den Westen für gegenseitige Sicherheits­garantien können Sie hier finden)

Aber in der heutigen Welt ist es kaum möglich, etwas auszusitzen. Wer Wind sät, wird, wie man sagt, Sturm ernten. Die Krise ist tatsächlich global geworden, sie betrifft jeden. Da braucht man sich keine Illusionen zu machen.

Die Menschheit hat jetzt im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: entweder die Probleme weiter anzuhäufen, die uns alle unweigerlich erdrücken werden, oder zu versuchen, gemeinsam Lösungen zu finden, wenn auch unvollkommene, aber wirksame Lösungen, die unsere Welt stabiler und sicherer machen können.

Wissen Sie, ich habe immer an die Kraft des gesunden Menschenverstands geglaubt und tue das auch heute noch. Ich bin daher überzeugt, dass sowohl die neuen Zentren der multipolaren Weltordnung als auch der Westen früher oder später anfangen müssen, auf Augenhöhe über eine gemeinsame Zukunft zu sprechen, und zwar je früher, desto besser. Und in diesem Zusammenhang möchte ich auf einige für uns alle sehr wichtige Punkte hinweisen.

Die heutigen Ereignisse haben die Umweltthemen zur Seite geschoben. Es mag merkwürdig, sein aber ich möchte damit beginnen. Der Klimawandel steht nicht mehr ganz oben auf der Tagesordnung. Aber diese grundlegenden Herausforderungen sind nicht verschwunden, sie haben sich nicht verflüchtigt, sie wachsen.

Eine der gefährlichsten Folgen des ökologischen Ungleichgewichts ist der Rückgang der Artenvielfalt. Und nun komme ich zu dem Hauptthema, wegen dem wir alle zusammen­gekommen sind: Ist die andere Vielfalt - die kulturelle, soziale, politische, zivilisatorische - weniger wichtig?

Die Vereinfachung, die Auslöschung, aller Unterschiede ist praktisch zum Wesen des modernen Westens geworden. Was steckt hinter dieser Vereinfachung? Vor allem das Verschwinden des kreativen Potenzials des Westens selbst und der Wunsch, die freie Entwicklung anderer Zivilisationen einzuschränken, zu blockieren.

Natürlich gibt es hier auch ein direktes wirtschaftliches Interesse: Mit der Durchsetzung ihrer Werte, ihrer Konsum­klischees, ihrer Vereinheitlichung versuchen unsere Gegner - ich nenne sie mal vorsichtig so - die Märkte für ihre Produkte zu erweitern. Am Ende ist das alles sehr primitiv. Es ist kein Zufall, dass der Westen den Anspruch erhebt, dass seine Kultur und Weltanschauung universell sein müssen. Auch wenn sie es nicht direkt sagen - obwohl sie es auch oft sagen -, aber auch wenn sie es nicht direkt sagen, verhalten sie sich doch so und bestehen darauf, dass ihre Politik in der Realität darauf besteht, dass eben diese Werte von allen anderen Teilnehmern des internationalen Lebens bedingungslos akzeptiert werden müssen.

Hier ein Zitat aus der berühmten Harvard-Rede von Alexander Solschenizyn[wp]. Bereits 1978 stellte er fest, dass der Westen von einer "anhaltenden Blindheit der Überlegenheit" geprägt sei - das alles passiert heute immer noch -, die "die Vorstellung unterstützt, dass alle Gebiete unseres Planeten sich gemäß den derzeitigen westlichen Systemen entwickeln und von ihnen beherrscht werden sollten." Das war 1978. Es hat sich nichts geändert.

Im Laufe des letzten halben Jahrhunderts hat diese Verblendung, von der Solschenizyn sprach - sie ist offen rassistisch und neokolonial - einfach nur hässliche Formen angenommen, insbesondere seit der Entstehung der so genannten unipolaren Welt. Was möchte ich dazu sagen? Das Vertrauen auf die eigene Unfehlbarkeit ist ein sehr gefährlicher Zustand: Er ist nur einen Schritt entfernt von dem Wunsch der "Unfehlbaren", diejenigen, die ihnen nicht gefallen, einfach zu vernichten. Wie man so schön sagt, sie zu "canceln", sie abzuschaffen. Lassen Sie uns zumindest über die Bedeutung des Wortes nachdenken.

Selbst auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, auf dem Höhepunkt der Konfrontation zwischen Systemen, Ideologien und militärischen Rivalitäten, kam es niemandem in den Sinn, die Existenz von Kultur, Kunst und Wissenschaft des Gegners zu leugnen. Auf die Idee wäre niemand gekommen! Ja, es gab gewisse Einschränkungen in den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Kultur und leider auch im Sport. Dennoch waren sich damals sowohl die sowjetische als auch die amerikanische Führung darüber im Klaren, dass der humanitäre Bereich mit Finger­spitzen­gefühl angegangen werden sollte, indem man den Gegner studiert und respektiert und sich von ihm etwas abschaut, um zumindest für die Zukunft eine Grundlage für solide, fruchtbare Beziehungen zu erhalten.

Und was geschieht jetzt? Die Nazis gingen seinerzeit so weit, dass sie Bücher verbrannten, und nun sind die westlichen "Förderer des Liberalismus und des Fortschritts" so weit gegangen, dass sie Dostojewski[wp] und Tschaikowski[wp] verbieten. Die so genannte "Cancel Culture" - die Kultur der Abschaffung -, aber in Wirklichkeit - wir haben schon oft darüber gesprochen - raubt die tatsächliche Abschaffung der Kultur alles Lebendige und Schöpferische und lässt das freie Denken in keinem Bereich zur Entfaltung kommen: nicht in der Wirtschaft, nicht in der Politik, nicht in der Kultur.

Die liberale Ideologie selbst hat sich heute bis zur Unkenntlichkeit verändert. Verstand der klassische Liberalismus die Freiheit eines jeden Menschen ursprünglich als die Freiheit, zu sagen und zu tun, was man will, so begannen Liberale bereits im 20. Jahrhundert zu sagen, dass die so genannte offene Gesellschaft Feinde hat - die offene Gesellschaft hat also Feinde - und dass die Freiheit dieser Feinde eingeschränkt oder sogar abgeschafft werden kann und muss. Inzwischen ist es sogar so absurd, dass jede alternative Sichtweise als subversive Propaganda und Bedrohung der Demokratie bezeichnet wird.

Alles, was aus Russland kommt, sind "Kreml-Machenschaften". Aber schaut Euch selbst an! Sind wir wirklich so allmächtig? Jede Kritik an unseren Gegnern - jede! - wird als "Kreml-Machenschaften", als "Hand des Kreml" wahrgenommen. So ein Unsinn. Wie weit sind sie gegangen? Benutzt einfach Euren Verstand, denkt Euch etwas Interessanteres aus, präsentiert Euren Standpunkt auf eine konzeptionellere Weise. Man kann nicht alles auf die Intrigen des Kreml schieben.

All das hat Fjodor Dostojewski bereits im 19. Jahrhundert prophetisch vorausgesagt. Eine der Figuren in seinem Roman Die Besessenen, der Nihilist Schigaljow, beschrieb die strahlende Zukunft, die er sich vorstellte, folgendermaßen: "Die grenzenlose Freiheit verlassend eröffne ich den grenzenlosen Despotismus" - dahin sind unsere westlichen Gegner übrigens gekommen. Eine andere Figur des Romans, Peter Verhovensky, schließt sich ihm an und erklärt, dass Verrat, Spitzeltum und Spionage überall gebraucht werden, dass die Gesellschaft keine Talente und höheren Fähigkeiten braucht: "Cicero wird die Zunge heraus­geschnitten, Kopernikus werden die Augen ausgestochen, Shakespeare wird gesteinigt." Das ist es, wohin unsere westlichen Gegner gehen. Was ist das anderes als die moderne westliche Cancel Culture?

Das waren große Denker und ich bin meinen Mitarbeitern, die diese Zitate gefunden haben, ehrlich gesagt dankbar.

Was kann man dazu sagen? Die Geschichte wird sicherlich alles an seinen Platz stellen und die größten Werke der allgemein anerkannten Genies der Weltkultur nicht canceln, sondern diejenigen, die beschlossen haben, dass sie das Recht haben, nach ihrem Gutdünken über diese Weltkultur zu verfügen. Die Eitelkeit dieser Leute sprengt, wie man sagt, den Rahmen, aber in ein paar Jahren wird sich niemand mehr an ihre Namen erinnern. Aber Dostojewski wird weiterleben, ebenso wie Tschaikowsky und Puschkin[wp] - so sehr sich manche auch etwas anderes wünschen mögen.

Das westliche Modell der Globalisierung, das in seinem Kern neokolonial ist, wurde ebenfalls auf Vereinheitlichung, auf finanziellem und technologischem Monopolismus und auf der Auslöschung aller Unterschiede aufgebaut. Die Aufgabe war klar: Die bedingungslose Vorherrschaft des Westens in der Welt­wirtschaft und -politik zu stärken und zu diesem Zweck die natürlichen und finanziellen Ressourcen, die intellektuellen, menschlichen und wirtschaftlichen Kapazitäten des gesamten Planeten in seinen Dienst zu stellen, und zwar unter dem Deckmantel der so genannten neuen globalen gegenseitigen Abhängigkeit.

Hier möchte ich an einen weiteren russischen Philosophen erinnern, an Alexander Sinowjew, dessen hundertsten Geburtstag wir am 29. Oktober feiern werden. Vor mehr als 20 Jahren sagte er, dass für das Überleben der westlichen Zivilisation auf dem von ihr erreichten Niveau "der gesamte Planet als Lebensraum notwendig ist, alle Ressourcen der Menschheit sind dafür notwendig." Das fordern sie ja auch, genau so ist es.

Dabei hat der Westen sich in diesem System von Beginn an einen gewaltigen Vorsprung geschaffen, da er die Prinzipien und Mechanismen entwickelt hat - so wie jetzt jene Prinzipien, über die ständig gesprochen wird und die ein unverständliches "schwarzes Loch" sind: was das ist, weiß niemand. Aber sobald nicht die westlichen Länder, sondern andere Staaten von der Globalisierung zu profitieren begannen, und wir sprechen hier natürlich in erster Linie von den großen asiatischen Staaten, hat der Westen viele Regeln sofort geändert oder ganz aufgehoben. Und die so genannten heiligen Grundsätze des Freihandels, der wirtschaftlichen Offenheit, des fairen Wettbewerbs und sogar des Rechts auf Eigentum waren plötzlich völlig vergessen. Sobald etwas für sie profitabel wurde, haben sie während des Spiels sofort und spontan die Regeln geändert.

Oder ein weiteres Beispiel für die Änderung von Begriffen und Bedeutungen. Westliche Ideologen und Politiker erzählen der ganzen Welt seit vielen Jahren: Es gibt keine Alternative zur Demokratie. Allerdings ist die Rede vom westlichen, so genannten liberalen Modell der Demokratie. Sie lehnen alle anderen Varianten und Formen der Demokratie mit Verachtung und - das möchte ich unterstreichen - Arroganz ab. Dieses Verhalten hat sich schon vor langer Zeit, noch in der Kolonialzeit, herausgebildet: Alle werden als Menschen zweiter Klasse angesehen, während andere exklusiv sind. Das geht schon seit Jahrhunderten so, bis heute.

Aber heute verlangt die absolute Mehrheit der Weltgemeinschaft genau das: Demokratie in internationalen Angelegenheiten und sie akzeptiert keinerlei Formen autoritärer Diktate einzelner Länder oder Gruppen von Staaten. Was ist das, wenn nicht die direkte Anwendung der Prinzipien der Macht des Volkes auf der Ebene der internationalen Beziehungen?

Und was ist die Position des "zivilisierten" - in Anführungs­zeichen - Westens? Wenn Ihr Demokraten seid, dann müsstet Ihr dieses natürliche Streben von Milliarden von Menschen nach Freiheit begrüßen - aber nein! Der Westen nennt das die Untergrabung der liberalen, regelbasierten Ordnung und startet Wirtschafts- und Handels­kriege, Sanktionen, Boykotte, Farbrevolutionen und führt alle Arten von Putschen durch.

Einer davon führte zu den tragischen Folgen in der Ukraine im Jahr 2014 - sie haben den Putsch unterstützt und sogar erzählt, wie viel Geld dafür ausgegeben haben. Eigentlich sind sie einfach wahnsinnig, ihnen ist nichts peinlich. Sie haben Suleimani, einen iranischen General, getötet. Man kann zu Solemani[wp] stehen, wie man will, aber er ist ein offizieller Vertreter eines anderen Landes! Sie haben ihn auf dem Gebiet eines dritten Landes ermordet und gesagt: Ja, wir haben ihn ermordet. Was ist das überhaupt? Wo leben wir?[3]

Washington bezeichnet die gegenwärtige Weltordnung weiterhin gewohnheitsmäßig als amerikanisch-liberal, aber in Wirklichkeit vergrößert diese berüchtigte "Ordnung" jeden Tag das Chaos und wird, wie ich hinzufügen möchte, sogar gegenüber den westlichen Ländern selbst, gegenüber ihren Versuchen, irgendeine Unabhängigkeit zu zeigen, immer intoleranter. Alles wird bis an die Wurzel unterdrückt und es werden Sanktionen gegen die eigenen Verbündeten verhängt - ohne jede Scham! Und die nehmen das alles mit gesenktem Kopf hin.

Beispielsweise wurden die Vorschläge der ungarischen Parlamentarier vom Juli, im EU-Vertrag ein Bekenntnis zu europäischen christlichen Werten und zur europäischen Kultur zu verankern, nicht einmal als Fronde, sondern als direkte feindliche Sabotage wahrgenommen. Was ist das? Wie soll man das verstehen? Ja, einigen mag es gefallen, anderen nicht.

In Russland haben wir im Laufe von tausend Jahren eine einzigartige Kultur der Wechsel­beziehungen zwischen allen Weltreligionen entwickelt. Es gibt keinen Grund, irgendetwas zu canceln: weder christliche Werte noch islamische oder jüdische Werte. Die anderen Weltreligionen sind in unserem Land präsent. Man muss sich einfach gegenseitig mit Respekt behandeln. In einigen Regionen unseres Landes, das habe ich aus erster Hand erfahren, feiern die Menschen christliche, islamische, buddhistische und jüdische Feiertage gemeinsam und tun das gerne, beglückwünschen einander und freuen sich zusammen.

Aber nicht in Europa. Warum nicht? Zumindest hätten sie darüber sprechen können. Es ist erstaunlich!

All das ist ohne Übertreibung nicht einmal eine systemische, sondern eine doktrinäre Krise des neoliberalen amerikanischen Modells der Weltordnung. Sie haben keine Ideen, etwas zu erschaffen und von positiver Entwicklung, sie haben der Welt einfach nichts zu bieten außer dem Erhalt ihrer Vorherrschaft.

Ich bin davon überzeugt, dass echte Demokratie in einer multipolaren Welt zuallererst die Möglichkeit eines jeden Volkes - ich möchte das betonen, jeder Gesellschaft, jeder Zivilisation - voraussetzt, ihren eigenen Weg, ihr eigenes soziales und politisches System zu wählen. Wenn die USA und die EU dieses Recht haben, dann haben es sicherlich auch die asiatischen Länder, die islamischen Staaten, die Monarchien des Persischen Golfs und die Staaten anderer Kontinente. Natürlich hat auch unser Land, Russland, dieses Recht, und niemand wird jemals in der Lage sein, unserem Volk vorzuschreiben, welche Art von Gesellschaft wir aufzubauen haben und auf welchen Prinzipien sie beruhen soll.

Die direkte Bedrohung des politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Monopols des Westens besteht darin, dass in der Welt alternative Gesellschafts­modelle entstehen könnten - effektivere, das möchte ich betonen - in der heutigen Zeit effektivere, hellere, attraktivere als die, die wir haben. Und diese Modelle werden sich entwickeln, das ist unvermeidlich. Übrigens schreiben amerikanische Politik­wissen­schaftler und Experten darüber auch direkt. Die Regierungen hören zwar noch nicht wirklich auf sie, aber sie können diese Ideen in den politik­wissen­schaftlichen Zeitschriften und in Diskussionen nicht übersehen.

Entwicklung muss im Dialog der Zivilisationen stattfinden, der auf geistigen und moralischen Werten beruht. Ja, verschiedene Zivilisationen haben unterschiedliche Verständnisse des Menschen, seines Wesens. Es sind oft nur oberflächliche Unterschiede, aber alle erkennen die höchste Würde und das geistige Wesen des Menschen an. Und dieses gemeinsame Fundament, auf dem wir unsere Zukunft aufbauen können und müssen, ist von größter Bedeutung.

Was möchte ich hier hervorheben? Traditionelle Werte sind nicht irgendwelche festen Postulate, an die sich alle halten müssen. Nein, natürlich nicht. Sie unterscheiden sich von den so genannten neoliberalen Werten dadurch, dass jedes von ihnen einzigartig ist, weil sie aus der Tradition einer bestimmten Gesellschaft, ihrer Kultur und historischen Erfahrung stammen. Traditionelle Werte können daher niemandem aufgezwungen werden - sie müssen einfach respektiert werden, indem das, was jede Nation im Laufe der Jahrhunderte gewählt hat, respektiert wird.

Das ist unser Verständnis von traditionellen Werten und dieser Ansatz wird von der Mehrheit der Menschheit geteilt und akzeptiert. Das ist logisch, denn die traditionellen Gesellschaften des Ostens, Lateinamerikas, Afrikas und Eurasiens bilden die Grundlage der Welt­zivilisation.

Der Respekt vor den Besonderheiten der Völker und Zivilisationen liegt im Interesse aller. Das liegt auch im Interesse des so genannten Westens. Indem er seine Vormacht­stellung verliert wird er schnell zu einer Minderheit auf der Weltbühne. Und natürlich sollte das Recht dieser westlichen Minderheit auf ihre eigene kulturelle Identität, das möchte ich unterstreichen, gewährleistet sein, es sollte sicherlich respektiert werden, aber, das unterstreiche ich, gleichberechtigt mit den Rechten aller anderen.

Wenn die westlichen Eliten glauben, dass sie in der Lage sein werden, in den Köpfen ihrer Menschen, ihrer Gesellschaften, neue, meiner Meinung nach seltsame Trends wie Dutzende von Geschlechtern und Schwulen­paraden einzuführen, dann soll es so sein. Sollen sie tun, was sie wollen! Aber sie haben sicher nicht das Recht, von anderen zu verlangen, dass sie den gleichen Weg gehen.

Wir sehen, dass die westlichen Länder komplizierte demographische, politische und soziale Prozesse haben. Das ist natürlich ihre innere Angelegenheit. Russland mischt sich nicht in diese Angelegenheiten ein und hat auch nicht die Absicht, das zu tun - im Gegensatz zum Westen mischen wir uns nicht in fremde Hinterhöfe ein. Wir gehen jedoch davon aus, dass der Pragmatismus die Oberhand gewinnen wird und der Dialog zwischen Russland und dem echten, traditionellen Westen sowie mit anderen Zentren gleicher Entwicklung einen wichtigen Beitrag zum Aufbau einer multipolaren Weltordnung leisten wird.

Ich möchte hinzufügen, dass die Multipolarität die wirkliche und tatsächlich einzige Chance für Europa ist, seine politische und wirtschaftliche Subjektivität wieder­herzustellen. Sicher, wir alle verstehen, und in Europa wird direkt darüber gesprochen: Europas rechtliche Subjektivität ist heute - wie soll ich es vorsichtig ausdrücken, um niemanden zu beleidigen - sehr begrenzt.

Die Welt ist von Natur aus vielfältig und die Versuche des Westens, alle in ein einziges Schema zu pressen, sind objektiv zum Scheitern verurteilt, und es wird nichts dabei herauskommen.

Das arrogante Streben nach der Weltherrschaft, nach dem Diktat oder nach dem Erhalt der Führungsrolle durch Diktat, führt zum Niedergang der internationalen Autorität der Führer der westlichen Welt, einschließlich der USA, und zum wachsenden Misstrauen in ihre Fähigkeit zu verhandeln insgesamt. An einem Tag sagen sie das eine und am nächsten Tag etwas anderes; sie unterschreiben Dokumente und am nächsten Tag weigern sie sich, sie einzuhalten; sie tun, was sie wollen. Es gibt überhaupt keine Stabilität in irgendetwas. Wie die Dokumente unterzeichnet werden, worüber gesprochen wurde, worauf man hoffen kann, ist vollkommen unklar.

Während sich früher nur einige wenige Länder erlaubt haben, mit Amerika zu streiten, und das fast wie eine Sensation aussah, ist es heute für viele Staaten üblich, die unbegründeten Forderungen Washingtons abzulehnen, auch wenn es immer noch versucht, alle herumzuschubsen. Das ist eine völlig verfehlte Politik, die einfach ins Nichts führt. Sollen sie doch, das ist auch ihre Entscheidung.

Ich bin überzeugt, dass die Völker der Welt nicht die Augen vor der Politik der Nötigung verschließen werden, die sich selbst diskreditiert hat, und der Westen wird jedes Mal, wenn er versucht, seine Hegemonie aufrecht­zuerhalten, einen immer höheren Preis zahlen müssen. Wäre ich an der Stelle dieser westlichen Eliten, würde ich über diese Perspektive ernsthaft nachdenken, so wie einige Politologen und Politiker in den USA selbst es tun, wie ich bereits sagte.

Unter den gegenwärtigen Bedingungen gewalttätiger Konflikte werde ich einige Dinge direkt sagen. Russland als unabhängige, eigenständige Zivilisation hat sich nie als Feind des Westens gesehen und sieht sich auch nicht als solcher. Amerika­feindlichkeit, Anglophobie[wikt], Frankophobie[wp], Deutschfeindlichkeit sind ebenso Formen des Rassismus wie Russophobie und Antisemitismus, wie auch alle Formen der Fremden­feindlichkeit.

Man muss klar verstehen, dass es, wie ich bereits sagte, zwei Westens gibt, mindestens zwei, vielleicht auch mehr, aber mindestens zwei: den Westen der traditionellen, vor allem christlichen Werte, der Freiheit, des Patriotismus, der reichhaltigen Kultur und jetzt auch der islamischen Werte, denn ein bedeutender Teil der Bevölkerung vieler westlicher Länder bekennt sich zum Islam. Dieser Westen ist uns in gewisser Weise nahe, in vielerlei Hinsicht haben wir gemeinsame, ja sogar antike Wurzeln. Aber es gibt auch den anderen Westen: aggressiv, kosmopolitisch, neokolonial, ein Werkzeug der neoliberalen Eliten. Das Diktat genau dieses Westens wird Russland sicher nicht akzeptieren.

Ich werde mich immer daran erinnern, was ich im Jahr 2000, nachdem ich zum Präsidenten gewählt worden war, erleben musste. Erinnern Sie sich an den Preis, den wir für die Zerstörung des Terrornestes im Nordkaukasus gezahlt haben, das der Westen damals praktisch offen unterstützt hat. Alle Erwachsenen hier, die meisten von Ihnen in diesem Saal, verstehen, wovon ich spreche. Wir wissen, dass genau dies in der Praxis geschah: finanzielle, politische und mediale Unterstützung. Wir alle haben das erlebt.

Darüber hinaus hat der Westen Terroristen auf russischem Territorium nicht nur aktiv unterstützt, sondern dieser Bedrohung in vielerlei Hinsicht Vorschub geleistet. Wir wissen das. Aber nachdem sich die Lage stabilisiert hatte und die wichtigsten Terrorbanden besiegt waren, auch dank des Mutes des tschetschenischen Volkes[wp], haben wir beschlossen, uns nicht abzuwenden, nicht den Beleidigten zu spielen, sondern vorwärts zu gehen, Beziehungen auch zu denen aufzubauen, die eigentlich gegen uns arbeiteten, Beziehungen auf der Grundlage von gegenseitigem Nutzen und gegenseitigem Respekt zu allen aufzubauen und zu entwickeln, die das wollten.

Man dachte, dass das im gemeinsamen Interesse liegt. Russland hat Gott sei Dank alle Schwierigkeiten dieser Zeit überstanden, hat durchgehalten, ist gestärkt, ist mit dem inneren und äußeren Terrorismus klargekommen, hat seine Wirtschaft bewahrt, hat begonnen, sich zu entwickeln, und seine Verteidigungs­fähigkeit verbessert. Wir haben versucht, Beziehungen zu den führenden Ländern des Westens und zur NATO aufzubauen. Die Botschaft war dieselbe: Lasst uns aufhören, Feinde zu sein, lasst uns als Freunde zusammenleben, lasst uns den Dialog aufnehmen, lasst uns Vertrauen aufbauen und damit Frieden schaffen. Wir waren absolut aufrichtig, das möchte ich betonen. Wir waren uns über die Komplexität dieser Annäherung im Klaren, aber wir sind den Weg gegangen.

Und was haben wir als Antwort erhalten? Kurz gesagt, wir haben in allen wichtigen Bereichen der möglichen Zusammenarbeit ein "Nein" erhalten. Wir haben ständig wachsenden Druck auf uns und die Schaffung von Spannungs­herden in der Nähe unserer Grenzen erhalten. Und was, wenn ich fragen darf, ist das Ziel dieses Drucks? Was ist es? Üben sie etwa einfach nur ein bisschen? Nein, natürlich nicht. Das Ziel ist es, Russland verwundbarer zu machen. Das Ziel ist es, Russland zu einem Werkzeug zur Erreichung ihrer eigenen geopolitischen Ziele zu machen.

Das ist in der Tat die universelle Regel: Sie versuchen, jeden in ein Werkzeug zu verwandeln, um dieses Werkzeug für ihre eigenen Ziele zu nutzen. Und diejenigen, die diesem Druck nicht nachgeben, die kein solches Werkzeug sein wollen, gegen die werden Sanktionen verhängt, gegen die werden alle möglichen wirtschaftlichen Restriktionen verhängt, gegen die werden Putsche vorbereitet oder wenn möglich durchgeführt und so weiter. Und wenn am Ende nichts gelingt, gibt es ein Ziel - sie zu vernichten, sie von der politischen Landkarte zu tilgen. Aber so ein Szenario hat in Bezug auf Russland nie funktioniert und wird in Bezug auf Russland auch nie funktionieren.

Was würde ich noch gerne hinzufügen? Russland fordert die Eliten des Westens nicht heraus - Russland verteidigt lediglich sein Recht auf Existenz und freie Entwicklung. Dabei haben wir selbst nicht vor, zu einem neuen Hegemon zu werden. Russland schlägt nicht vor, die Unipolarität durch Bipolarität, Tripolarität etc. auszutauschen, die westliche Vorherrschaft durch die Vorherrschaft des Ostens, des Nordens oder des Südens zu ersetzen. Das würde unweigerlich in eine neue Sackgasse führen.

Hier möchte ich die Worte des großen russischen Philosophen Nikolai Danilewski[wp] zitieren, der der Meinung war, dass der Fortschritt nicht darin besteht, nur in eine Richtung zu gehen, wozu einige unserer Gegner uns drängen - dann würde der Fortschritt bald aufhören, so Danilewski -, sondern darin, "das gesamte Feld, das den Bereich der geschichtlichen Tätigkeit der Menschheit ausmacht, in allen Richtungen anzugehen." Und er fügt hinzu, dass sich keine Zivilisation rühmen kann, den höchsten Entwicklungsstand zu repräsentieren.

Ich bin davon überzeugt, dass der Diktatur nur die freie Entwicklung von Ländern und Völkern entgegenstehen kann, dass der Degradation des Individuums die Liebe zum Menschen als Schöpfer entgegen­stehen kann, dass primitiver Vereinfachung und Verboten die blühende Komplexität von Kulturen und Traditionen entgegen­stehen kann.

Die Bedeutung des heutigen historischen Moments besteht gerade darin, dass sich vor allen Zivilisationen, Staaten und Staatenverbände die Möglichkeit einer eigenen, demokratischen, originellen Entwicklungs­weise eröffnet. Und vor allem glauben wir, dass die neue Weltordnung auf Recht und Gesetz beruhen muss, dass sie frei, unverwechselbar und gerecht sein muss.

Daher müssen die Weltwirtschaft und der Handel gerechter und offener werden. Russland ist der Ansicht, dass der Prozess der Schaffung neuer internationaler Finanz­plattformen, einschließlich solcher für den internationalen Zahlungsverkehr, unumgänglich ist. Solche Plattformen sollten außerhalb nationaler Zuständigkeiten liegen, sicher, entpolitisiert und automatisiert sein und nicht von einem einzigen Kontrollzentrum abhängen. Ist das möglich oder nicht? Natürlich. Es wird große Anstrengungen erfordern, viele Länder müssen ihre Kräfte bündeln, aber es ist machbar.

Das wird die Möglichkeit des Missbrauchs der neuen globalen Finanz­infra­struktur ausschließen und eine effiziente, profitable und sichere Abwicklung internationaler Transaktionen ohne den Dollar und andere so genannte Reserve­währungen ermöglichen. Das umso mehr, als die USA und der Westen durch den Einsatz des Dollars als Waffe die Institution der internationalen Finanz­reserven diskreditiert haben. Zuerst wurden sie durch die Inflation in der Dollar- und Eurozone abgewertet und dann haben sie unsere internationalen Reserven eingesackt.

Die Umstellung auf nationale Währungen wird - zwangsläufig - an Dynamik gewinnen. Das hängt natürlich von der Verfassung der Emittenten dieser Währungen und ihrer Volks­wirtschaften ab, aber sie werden stärker werden und diese Zahlungen werden mit Sicherheit allmählich die Oberhand gewinnen. Das ist die Logik einer souveränen Wirtschafts- und Finanz­politik in einer multipolaren Welt.

Weiter. Die neuen Zentren der globalen Entwicklung verfügen bereits heute über einzigartige Technologien und wissenschaftliche Entwicklungen in einer Vielzahl von Bereichen und in vielen Bereichen können sie erfolgreich mit westlichen transnationalen Unternehmen konkurrieren.

Offensichtlich haben wir ein gemeinsames, ganz pragmatisches Interesse an einem fairen und offenen wissenschaftlichen und technologischen Austausch. Gemeinsam wird jeder mehr profitieren als allein. Die Vorteile sollten der Mehrheit zugute kommen, nicht einzelnen superreichen Konzernen.

Wie sieht es heute aus? Wenn der Westen Medikamente oder Saatgut für Nahrungs­pflanzen an andere Länder verkauft, werden die nationale Pharmaindustrie und Viehzucht vernichtet und im Grunde läuft in der Praxis alles darauf hinaus: Die Lieferung von Maschinen und Ausrüstungen zerstört die lokale Maschinenbau­industrie. Als ich Premierminister war, habe ich es verstanden: Sobald man den Markt für eine bestimmte Warengruppe öffnet, ist der lokale Produzent untergegangen und es ist fast unmöglich, dass er sein Haupt wieder erhebt. So werden Beziehungen aufgebaut. So werden Märkte und Ressourcen erobert, Länder werden ihres technologischen und wissenschaftlichen Potenzials beraubt. Das ist kein Fortschritt, sondern Versklavung, die Reduzierung der Volks­wirtschaften auf ein primitives Niveau.

Die technologische Entwicklung sollte die globale Ungleichheit nicht verstärken, sondern verringern. Genau so setzt Russland traditionell seine technologische Außen­politik um. Wenn wir zum Beispiel Kernkraftwerke in anderen Staaten bauen, schaffen wir dort gleichzeitig Kompetenz­zentren, bilden nationales Personal aus. Wir schaffen eine Industrie, wir bauen nicht nur eine Anlage, wir schaffen eine ganze Industrie. Im Grunde geben wir anderen Ländern die Möglichkeit, einen echten Durchbruch in ihrer wissenschaftlichen und technologischen Entwicklung zu erzielen, Ungleichheiten zu verringern und ihren Energie­sektor auf ein neues Niveau von Effizienz und Umwelt­freundlichkeit zu bringen.

Ich möchte noch einmal betonen, dass Souveränität und eigene Entwicklung keineswegs Isolation oder Autarkie bedeuten, sondern vielmehr eine aktive, für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit auf der Grundlage fairer und gerechter Prinzipien.

Während die liberale Globalisierung eine Entpersönlichung ist, die der ganzen Welt das westliche Modell aufzwingt, geht es bei der Integration im Gegenteil darum, das Potenzial jeder Zivilisation zum Nutzen des Ganzen, zum Wohle aller zu erschließen. Während der Globalismus ein Diktat ist, worauf er letztlich hinausläuft, ist Integration die gemeinsame Erarbeitung von Strategien, die allen zugute kommen.

In dieser Hinsicht hält Russland es für wichtig, die Mechanismen zur Schaffung großer Räume zu aktivieren, die auf der Zusammenarbeit von Nachbarländern beruhen, deren Wirtschaft, Sozialsystem, Rohstoffe und Infrastruktur sich gegenseitig ergänzen. Solche großen Räume sind im Grunde die Grundlage für eine multipolare Weltordnung - die wirtschaftliche Grundlage. Aus ihrem Dialog erwächst die wahre Einheit der Menschheit, die viel komplexer, ausgeprägter und mehrdimensionaler ist als in den vereinfachenden Ansichten einiger westlicher Ideologen.

Die Einheit der Menschheit beruht nicht auf dem Befehl "mach es wie ich" oder "werde wie wir" - sie wird unter Berücksichtigung und auf der Grundlage der Meinung aller und mit Respekt vor der Identität jeder Gesellschaft und Nation gebildet. Das ist das Prinzip, auf dem ein langfristiges Engagement in einer multipolaren Welt aufbauen kann.

In diesem Zusammenhang könnte es sich lohnen, darüber nachzudenken, dass die Struktur der Vereinten Nationen, einschließlich des Sicherheitsrates, die Vielfalt der Weltregionen besser widerspiegeln sollte. Schließlich wird in der Welt von morgen viel mehr von Asien, Afrika und Lateinamerika abhängen, als man heute gemeinhin annimmt, und diese Zunahme ihres Einflusses ist auf jeden Fall positiv.

Ich erinnere daran, dass die westliche Zivilisation nicht die einzige ist, auch nicht in unserem gemeinsamen eurasischen Raum. Außerdem konzentriert sich die Mehrheit der Bevölkerung gerade im Osten Eurasiens, wo die ältesten Zivilisationen der Menschheit entstanden sind.

Der Wert und die Bedeutung Eurasiens liegen darin, dass dieser Kontinent ein autarker Komplex ist, der über gigantische Ressourcen jeder Art und ein enormes Potenzial verfügt. Und je härter wir daran arbeiten, die Verbindungen in Eurasien zu erhöhen, neue Wege und Formen der Zusammenarbeit zu schaffen, desto beeindruckendere Fortschritte machen wir.

Die erfolgreichen Aktivitäten der Eurasischen Wirtschafts­union, das rasche Anwachsen der Autorität und des Einflusses der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, die groß angelegten Initiativen im Rahmen von "One Belt, One Road", die Pläne für eine multilaterale Zusammenarbeit zur Verwirklichung des Nord-Süd-Verkehrs­korridors und andere, viele andere Projekte in diesem Teil der Welt sind, da bin ich mir sicher, der Beginn einer neuen Ära, einer neuen Phase in der Entwicklung Eurasiens. Integrations­projekte stehen hier nicht im Widerspruch zueinander, sondern ergänzen sich, wenn sie von den Nachbarländern in ihrem eigenen Interesse durchgeführt und nicht von äußeren Kräften gewaltsam eingeführt werden, um den eurasischen Raum zu spalten und ihn in eine Zone der Block­konfrontation zu verwandeln.

Sein westliches Ende, Europa, könnte auch ein natürlicher Teil des großen Eurasiens sein. Doch viele der führenden Vertreter sind von der Überzeugung beseelt, dass die Europäer besser sind als andere und dass es unter ihrer Würde ist, sich gleichberechtigt mit anderen an Unternehmungen zu beteiligen. Hinter dieser Arroganz bemerken sie nicht einmal, dass sie an den Rand gedrängt wurden, dass sie Vasallen sind - oft sogar ohne ein Wahlrecht.

Verehrte Kollegen!

Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat auch das Gleichgewicht der geopolitischen Kräfte zerstört. Der Westen fühlte sich als Sieger und proklamierte die unipolare Weltordnung, in der nur sein Wille, seine Kultur und seine Interessen eine Existenzberechtigung hatten.

Diese historische Periode der ungeteilten Vorherrschaft des Westens im Weltgeschehen geht nun zu Ende, die unipolare Welt gehört der Vergangenheit an. Wir stehen an einem historischen Wendepunkt, vor dem wahrscheinlich gefährlichsten, unvorhersehbarsten und doch wichtigsten Jahrzehnt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Westen ist nicht in der Lage, die Menschheit alleine zu regieren, aber er versucht es verzweifelt, und die meisten Nationen der Welt sind nicht mehr bereit, das zu dulden. Das ist der größte Gegensatz der neuen Ära. Die Situation ist in gewisser Weise revolutionär: Die Oberschicht kann nicht und die Unterschicht will nicht mehr so leben, heißt es in einem Klassiker.

Dieser Zustand birgt globale Konflikte oder eine Kette von Konflikten, die eine Bedrohung für die Menschheit, einschließlich des Westens selbst, darstellen. Diesen Widerspruch konstruktiv aufzulösen, ist heute die wichtigste geschichtliche Aufgabe.

Alles zu verändern, ist ein schmerzhafter, aber natürlicher und unvermeidlicher Prozess. Die künftige Weltordnung nimmt vor unseren Augen Gestalt an. Und in dieser Weltordnung müssen wir jedem zuhören, jeden Standpunkt berücksichtigen, jede Nation, Gesellschaft, Kultur, jedes System von Weltanschauungen, Ideen und religiösen Überzeugungen, ohne jemandem eine einheitliche Wahrheit aufzuzwingen. Nur auf dieser Grundlage können wir im Verständnis für unsere Verantwortung für das Schicksal - das Schicksal der Nationen, des Planeten - eine Symphonie der menschlichen Zivilisation bauen.

Damit möchte ich schließen und Ihnen für Ihre Geduld beim Anhören meiner Botschaft danken.

Ich danke Ihnen vielmals.»[4]

– Anti-Spiegel[5]

Lawrow

Dass Russland, nachdem der Westen die russischen Vorschläge für gegenseitige Sicherheits­garantien abgelehnt und Russland damit zum Vorgehen in der Ukraine gezwungen hat, keine Rücksicht mehr auf die Befindlichkeiten des Westens nimmt, ist Lesern des Anti-Spiegel bekannt. Nun hat der russische Außenminister Lawrow die Position Russlands in der UNO-Vollversammlung dargelegt. Ich habe seine Rede, in der er wirklich Klartext gesprochen hat, übersetzt.

Bevor wir zu der Übersetzung kommen, noch ein Hinweis: Im Westen ist immer von der "regel­basierten Weltordnung" die Rede, wobei allerdings kaum jemand weiß, was mit diesen schönen Worten gemeint ist. Daher empfehle ich zum besseren Verständnis des Themas diesen Artikel als Hintergrund­information.[6]

Hier nun die Übersetzung der Rede des russischen Außenministers Lawrow in der UNO-Vollversammlung.

Zitat: «Sehr geehrte Frau Vorsitzende, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren!

Wir treffen uns in einem schwierigen und dramatischen Moment. Die Krisenphänomene eskalieren und die internationale Sicherheitslage verschlechtert sich rapide.

Statt einen ehrlichen Dialog zu führen und nach Kompromissen zu suchen, werden wir mit Desinformationen, plumpen Inszenierungen und Provokationen konfrontiert. Die Linie des Westens untergräbt das Vertrauen in internationale Institutionen als Organe des Interessen­ausgleichs und in das Völkerrecht als Garant für Gerechtigkeit und für den Schutz der Schwachen vor Willkür. Wir beobachten die negativen Tendenzen in konzentrierter Form innerhalb der Mauern der UNO, die aus den Trümmern des deutschen Faschismus und des japanischen Militarismus hervorgegangen ist und die gegründet wurde, um freundschaftliche Beziehungen zwischen ihren Mitgliedern zu fördern und Konflikte zwischen ihnen zu verhindern.

Heute entscheidet sich die Frage der zukünftigen Weltordnung - das ist für jeden unvoreingenommenen Beobachter klar. Die Frage ist, ob es eine Ordnung mit einem Hegemon sein wird, der alle zwingt, nach seinen berüchtigten "Regeln" zu leben, die nur ihm zugute kommen, oder ob es eine demokratische, gerechte Welt sein wird - ohne Erpressung und Einschüchterung der Ungehorsamen, ohne Neonazismus und Neokolonialismus. Russland entscheidet sich entschieden für die zweite Option. Gemeinsam mit unseren Verbündeten, Partnern und Gleich­gesinnten fordern wir dazu auf, auf ihre Umsetzung hinzuarbeiten.

Das unipolare Modell der Weltentwicklung, das den Interessen der "goldenen Milliarde" diente, deren Superkonsum jahrhundertelang durch die Ressourcen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas gesichert wurde, gehört der Vergangenheit an. Das Entstehen souveräner Staaten, die bereit sind, ihre nationalen Interessen zu verteidigen, führt heute zur Bildung einer gerechten, sozial orientierten und nachhaltigen multipolaren Architektur. Allerdings werden diese objektiven geopolitischen Prozesse von Washington und den ihm gegenüber vollkommen unterwürfigen herrschenden Eliten der westlichen Länder als Bedrohung für ihre Vorherrschaft wahrgenommen.

Die USA und ihre Verbündeten wollen das Rad der Geschichte aufhalten. Einst, als Washington den Sieg im Kalten Krieg verkündete, erhob es sich in den Rang eines Boten Gottes auf Erden, der keine Pflichten, sondern nur das "heilige" Rechte hat, ungestraft zu handeln - wie und wo es ihm beliebt. Jeder Staat kann zu einem Gebiet solcher Aktionen erklärt werden - vor allem, wenn er den selbst­ernannten "Herren der Welt" aus irgendeinem Grund nicht gefällt.

Wir alle erinnern uns, wie unter erfundenen Vorwänden Angriffskriege gegen von den USA weit entfernte Länder wie Jugoslawien, den Irak und Libyen entfesselt wurden, die Hundert­tausende von Zivilisten das Leben gekostet haben. Hat auch nur eines dieser Länder legitime westliche Interessen beeinflusst? Wurden Englisch oder Sprachen anderer NATO-Mitglied­staaten, oder westliche Medien und die westliche Kultur dort verboten? Wurden die Angelsachsen etwa zu "Untermenschen" erklärt und schwere Waffen gegen sie eingesetzt? Was sind die Ergebnisse der US-Abenteuer im Nahen Osten? Eine Verbesserung von Menschenrechten und Rechts­staatlichkeit? Eine Stabilisierung der sozialpolitischen Lage? Eine Steigerung des Wohlstands der Bevölkerung? Nennen Sie ein Land, in dem Washington gewaltsam interveniert hat und in dem sich das Leben infolgedessen verbessert hat.

Bei dem Versuch, das unipolare Modell unter dem Slogan der "regelbasierten Ordnung" wiederzubeleben, zieht der Westen überall "Trennlinien" im Geiste der Block­konfrontation: "entweder mit uns oder gegen uns." Es gibt keinen dritten Weg, keinen Kompromiss. Während sie den rücksichtslosen Kurs der NATO-Osterweiterung fortsetzen und die militärische Infrastruktur des Blocks näher an die Grenzen Russlands heranführen, haben sich die USA nun die Aufgabe gestellt, den asiatischen Raum zu unterwerfen. Auf dem NATO-Gipfel in Madrid im Juni verkündete das "defensive" Bündnis, wie es sich selbst nennt, die "Untrennbarkeit der Sicherheit der euro-atlantischen und der indo-pazifischen Region." Unter dem Slogan indo-pazifischer Strategien werden geschlossene Formate geschaffen, die die gesamte offene und integrative regionale Architektur untergraben, die sich seit Jahrzehnten um ASEAN herum entwickelt hat. Darüber hinaus spielen sie rund um Taiwan mit dem Feuer und versprechen ihm auch militärische Unterstützung.

Es ist offensichtlich, dass die berüchtigte "Monroe-Doktrin"[wp] eine globale Dimension annimmt. Washington versucht, den gesamten Globus in seinen "Hinterhof" zu verwandeln. Das Mittel zur Unterwerfung Andersdenkender sind illegale einseitige Sanktionen, die seit Jahren unter Verletzung der UN-Charta verhängt und als politisches Erpressungs­instrument eingesetzt werden. Der Zynismus dieser Praxis ist offensichtlich. Die Beschränkungen treffen die Zivilbevölkerung, da sie den Zugang zu lebenswichtigen Gütern wie Medikamenten, Impfstoffen und Lebensmitteln verhindern. Ein ungeheuerliches Beispiel ist das US-Embargo gegen Kuba, das seit mehr als 60 Jahren andauert. Die UN-General­versammlung fordert seit langem mit überwältigender Mehrheit die sofortige Aufhebung des Embargos.

Der Generalsekretär, dessen Aufgabe es ist, die Einhaltung der Beschlüsse der General­versammlung zu fördern, muss diesem Problem besondere Aufmerksamkeit widmen. Eine besondere Rolle kommt ihm auch bei der Mobilisierung von Anstrengungen zur Bewältigung der Lebensmittel- und Energie­krisen zu, die durch die unkontrollierte Geldemission in den USA und der EU während der Pandemie und das unverantwortliche, unprofessionelle Vorgehen der EU auf den Brennstoff­märkten ausgelöst wurden. Entgegen dem gesunden Menschenverstand verschärften Washington und Brüssel die Krisensituation, indem sie einen Wirtschaftskrieg gegen Russland erklärt haben.

Die Folge war ein Anstieg der Weltmarktpreise für Lebensmittel, Düngemittel, Erdöl und Erdgas. Wir begrüßen die Bemühungen des General­sekretärs, die zum Abschluss des Abkommens von Istanbul am 22. Juli dieses Jahres beigetragen haben. Allerdings gehen die Schiffe mit ukrainischem Getreide nicht in erster Linie in die ärmsten Länder, und die von den USA und der EU geschaffenen finanziellen und logistischen Hindernisse für russische Getreide- und Dünge­mittel­ausfuhren sind noch nicht vollständig beseitigt. Wir erinnern seit Wochen daran, dass 300.000 Tonnen russischer Düngemittel in europäischen Häfen festgehalten werden. Seit langem bieten wir an, sie kostenlos in die bedürftigen Länder Afrikas zu bringen, aber die Europäische Union reagiert nicht.

Die offizielle Russophobie hat im Westen ein noch nie dagewesenes, groteskes Ausmaß angenommen. Sie zögern nicht mehr, offen ihre Absicht zu erklären, unserem Land nicht nur eine militärische Niederlage zuzufügen, sondern auch Russland zu zerstören und zu zerlegen. Mit anderen Worten: Russland soll als zu unabhängiges geopolitisches Gebilde von der politischen Landkarte der Welt verschwinden.

Wie hat Russland in den letzten Jahrzehnten die Interessen seiner Gegner verletzt? Kann es sein, dass sie uns nicht verzeihen können, dass die militärische und strategische "Entspannung" der 1980er und 90er Jahre dank der Position unseres Landes möglich war? Dass wir den Warschauer Pakt freiwillig aufgelöst und damit der NATO ihre Daseins­berechtigung genommen haben? Dass wir die Wiedervereinigung Deutschlands bedingungslos und gegen die Position von London und Paris unterstützt haben? Wir haben unsere Streitkräfte aus Europa, Asien und Lateinamerika abgezogen. Wir haben die Unabhängigkeit der ehemaligen Sowjetrepubliken anerkannt. Wir haben auf die Versprechen der westlichen Staats- und Regierungschefs vertraut, die NATO nicht "auch nur einen Zoll" nach Osten zu erweitern, und als die NATO-Osterweiterung kam, stimmten wir ihr zu, indem wir diesen Prozess durch die Unterzeichnung der NATO-Russland-Grundakte legitimiert haben. Könnte es sein, dass wir gegen westliche Interessen verstoßen haben, indem wir den Westen vor der Unannehmbarkeit der bedrohlichen militärischen Infrastruktur in der Nähe unserer Grenzen gewarnt haben?

Die Arroganz des Westens, der amerikanische Exzeptionalismus, ist seit dem Ende des Kalten Krieges besonders zerstörerisch geworden. 1991 gab der stellvertretende Chef des Pentagon, Paul Wolfowitz[wp], in einem Gespräch mit dem Befehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa, William Clark[wp], offen zu, dass sie nach dem Ende des Kalten Krieges ihr Militär einsetzen könnten, ohne Strafen befürchten zu müssen... Und dass sie fünf, vielleicht zehn Jahre Zeit hätten, um die sowjet-ähnlichen Regime wie den Irak und Syrien auszumerzen, bevor eine neue Supermacht entstehe, die sie herausfordern könne. Ich bin sicher, dass wir eines Tages aus den Memoiren von irgendjemandem erfahren werden, wie die amerikanische Strategie auch in Bezug auf die Ukraine gestaltet wurde. Allerdings sind die Pläne Washingtons bereits offensichtlich.

Vielleicht können sie uns nicht verzeihen, dass wir auf Wunsch der USA und der EU die Vereinbarungen zwischen dem damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und der Opposition zur Beilegung der Krise im Februar 2014 unterstützt haben? Die Vereinbarungen, für die Deutschland, Frankreich und Polen gebürgt haben, wurden am nächsten Morgen von den Rädelsführern des blutigen Staatsstreichs - eine Demütigung der europäischen Vermittler - mit Füßen getreten.

Der Westen legte einfach die Hände in den Schoß und sah schweigend zu, wie die Putschisten die Ostukraine bombardierten, wo man sich weigerte, die Ergebnisse des Putsches anzuerkennen, und wo man dagegen war, dass die Organisatoren des Putsches Nazi-Schergen, die an der brutalen ethnischen Säuberung von Russen, Polen und Juden während des Zweiten Weltkriegs beteiligt waren, in den Rang von Nationalhelden erhoben werden. Hätten wir etwa Kiews Politik des totalen Verbots der russischen Sprache, des Bildungswesens, der russischen Medien und der russischen Kultur, die Forderung nach Ausweisung der Russen von der Krim, die Kriegserklärung an den Donbass, dessen Bewohner von der damaligen und heutigen Kiewer Regierung nicht zu Menschen, sondern zu "Kreaturen" erklärt wurden, hinnehmen sollen?

Könnte es sein, dass Russland gegen westliche Interessen verstoßen hat, indem es eine Schlüsselrolle bei der Beendigung der von Kiews Neonazis entfesselten Feindseligkeiten in der Ostukraine spielte und dann die Umsetzung des Minsker Abkommens forderte, das vom UN-Sicherheitsrat im Februar 2015 einstimmig angenommen, aber von Kiew unter direkter Beteiligung der USA und der EU begraben wurde?

Wir haben im Laufe der Jahre immer wieder ein Abkommen über die Regeln des Zusammenlebens in Europa vorgeschlagen, das auf dem Prinzip der gleichen und unteilbaren Sicherheit beruht und das auf höchster Ebene in den OSZE-Dokumenten bestätigt wurde. Diesem Grundsatz zufolge würde niemand seine Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer stärken. Der letzte Vorschlag, den wir im Dezember 2021 gemacht haben, um diese Vereinbarungen rechtsverbindlich zu machen, wurde mit Arroganz zurückgewiesen.

Der Unwille der westlichen Länder, Abkommen einzuhalten, und der anhaltende Krieg des Kiewer Regimes gegen die eigene Bevölkerung haben uns keine andere Wahl gelassen, als die Unabhängigkeit der Volksrepubliken Donezk und Lugansk anzuerkennen und eine Militär­operation einzuleiten, um die Russen und andere Bewohner des Donbass zu schützen und die Bedrohungen für unsere Sicherheit zu beseitigen, die die NATO zielstrebig auf ukrainischem Territorium, genauer gesagt an unseren Grenzen, geschaffen hat. Die Operation wird im Rahmen von Verträgen über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen Russland und diesen Republiken durchgeführt, die auf Artikel 51 der UN-Charta beruhen. Ich bin sicher, dass jeder souveräne Staat, der sich seiner Verantwortung gegenüber seinem Volk bewusst ist, an unserer Stelle dasselbe tun würde.

Jetzt ist der Westen wegen der Referenden in den ukrainischen Regionen Lugansk, Donezk, Cherson und Saporoschje in Hysterie, aber die dort lebenden Menschen reagieren nur auf das, was ihnen der Chef des Kiewer Regimes, Wladimir Selenskij, in einem seiner Interviews im August 2021 empfohlen hat. Damals hat er allen, die sich als Russen fühlen, zum Wohle ihrer Kinder und Enkelkinder geraten, nach Russland zu "verschwinden". Die Bewohner der genannten Regionen tun nun genau das, wobei sie ihr Land, auf dem ihre Vorfahren seit Jahrhunderten gelebt haben, mitnehmen.

Jedem unvoreingenommenen Beobachter ist absolut klar: Für die Angelsachsen, die sich Europa völlig unterworfen haben, ist die Ukraine nur Verbrauchs­material im Kampf gegen Russland. Die NATO hat unser Land zu einer unmittelbaren Bedrohung auf dem Weg zur totalen Vorherrschaft der USA erklärt und China als langfristige strategische Herausforderung definiert. Gleichzeitig sendet der "kollektive Westen" unter der Führung Washingtons ein einschüchterndes Signal an alle anderen Länder: Jeder, der es wagt, nicht zu gehorchen, kann der Nächste sein.

Eine der Folgen des vom Westen ausgerufenen "Kreuzzuges" gegen die Unerwünschten ist der fortschreitende Verfall der multilateralen Institutionen, die von den USA und ihren Verbündeten in Werkzeuge zur Durchsetzung ihrer egoistischen Interessen verwandelt werden. Diese Linie wird in der UNO, dem Menschen­rechtsrat der Organisation, der UNESCO[wp] und anderen multilateralen Strukturen durchgesetzt. Die OPCW wurde de facto privatisiert. Es werden heftige Versuche unternommen, die Schaffung eines Transparenz­mechanismus im Rahmen der Biowaffen­konvention für Hunderte von Biowaffen­programmen des Pentagons in der ganzen Welt zu verhindern, auch an den Grenzen Russlands und in ganz Eurasien. Dass diese Programme keineswegs harmlos sind, zeigen die unerbittlichen Fakten in der Ukraine.

Wir sehen eine sture Linie zur Privatisierung des Sekretariats der Vereinten Nationen und zur Einführung eines neoliberalen Diskurses in dessen Arbeit, der die kulturelle und zivilisatorische Vielfalt der modernen Welt ignoriert. In diesem Zusammenhang rufen wir dazu auf, wie in der Charta der Vereinten Nationen vorgesehen, auf eine ausgewogene geographische Vertretung der Mitglied­staaten in den Strukturen des Sekretariats zu achten und die Dominanz einer Gruppe von Ländern zu verhindern.

Eine unerträgliche Situation ist dadurch entstanden, dass Washington seinen Verpflichtungen aus dem Abkommen zwischen dem Sekretariat und der US-Regierung über die Verpflichtungen des "Gastgeberlandes" des UN-Hauptquartiers zur Gewährleistung normaler Bedingungen für die Teilnahme aller Mitglied­staaten an der Arbeit der Vereinten Nationen nicht nachkommt. Das Abkommen überträgt dem Generalsekretär auch die Verantwortung für diese Aufgabe. Die Trägheit ist nicht akzeptabel.

Die Bemühungen einiger Länder, die Vorrechte des Sicherheitsrates zu untergraben, sind besorgnis­erregend. Zweifellos müssen sowohl der Rat als auch die UNO als Ganzes an die modernen Realitäten angepasst werden. Wir sehen Perspektiven für eine Demokratisierung der Arbeit des Sicherheitsrates ausschließlich - das möchte ich betonen - durch eine stärkere Vertretung von Ländern aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Wir weisen insbesondere auf Indien und Brasilien als wichtige internationale Akteure und würdige Kandidaten - während einer gleichzeitigen Stärkung des Profils Afrikas - für eine ständige Mitgliedschaft im Rat hin.

Heute ist es wichtiger denn je, dass sich alle Mitglied­staaten unmissverständlich und ohne Ausreden zu den Zielen und Grundsätzen der UN-Charta bekennen - als ersten notwendigen Schritt zur Wieder­herstellung der kollektiven Verantwortung für das Schicksal der Menschheit.

Genau zu diesem Zweck wurde im Juli 2021 die Gruppe der Freunde zur Verteidigung der Charta gegründet, die von Russland mitbegründet wurde und der bereits rund zwei Dutzend Länder angehören. Die Gruppe ist bestrebt, die strikte Einhaltung der universellen Normen des Völkerrechts als Gegengewicht zu schädlichen einseitigen Ansätzen zu gewährleisten. Wir rufen alle, die diese Position teilen, auf, sich ihr anzuschließen. In diesem Zusammenhang haben die Bewegung der Blockfreien, die BRICS, die SCO und die ASEAN[wp] ein erhebliches positives Potenzial.

Während die westlichen Kollegen allen Ländern aggressiv ihr Verständnis von Demokratie als Modell für die Organisation des gesellschaftlichen Lebens aufzwingen, sind sie kategorisch nicht bereit, sich in internationalen Angelegenheiten von demokratischen Normen leiten zu lassen. Ein aktuelles Beispiel ist die Situation in der Ukraine. Russland hat seine Position ausführlich begründet, und das schon seit mehreren Jahren. Der Westen hat erklärt, dass er damit nicht einverstanden ist. Es scheint, dass der Rest der Weltgemeinschaft selbst entscheiden sollte, welche Position er einnehmen will: für die einen, für die anderen oder für die Neutralität.

So sollte es in Demokratien sein, wenn Politiker, die sich bekämpfen, ihren Standpunkt verteidigen und in der Bevölkerung agitieren, aber die USA und ihre Verbündeten geben niemandem die Wahlfreiheit. Sie drohen und drehen jedem die Arme auf den Rücken, der es wagt, selbstständig zu denken. Sie fordern mit Drohungen, sich den anti-russischen Sanktionen anzuschließen. Das funktioniert schlecht, aber es ist offensichtlich, dass diese Art des Vorgehens der USA und ihrer Satelliten überhaupt keine Demokratie ist, sondern reine Diktatur, zumindest der Versuch, eine Diktatur durchzusetzen.

Es entsteht der Eindruck, dass Washington und das unterjochte Europa versuchen, ihre entrinnende Hegemonie ausschließlich mit verbotenen Methoden zu erhalten. An die Stelle der Diplomatie treten immer wieder illegitime Sanktionen gegen starke Konkurrenten in Wirtschaft, Sport, Medien und Information, kulturellem Austausch und menschlichen Kontakten insgesamt. Nehmen wir das Problem der Visa für Delegierte zu internationalen Veranstaltungen in New York, Genf, Wien und Paris - auch dies ist ein Versuch, Konkurrenten auszuschalten, um alternative Ansichten in multilateralen Diskussionen zu verhindern.

Ich bin von der Notwendigkeit überzeugt, die UNO zu verteidigen, die Weltorganisation von allem Konfrontativen und Aufgezwungenen zu säubern und ihren Ruf als Plattform für ehrliche Diskussionen wieder­her­zustellen, um ein Gleichgewicht zwischen den Interessen aller Mitglied­staaten zu finden. Das ist der Ansatz, der die Förderung unserer nationalen Initiativen bei der UNO leitet.

Es ist von entscheidender Bedeutung, ein umfassendes Verbot der Stationierung von Waffen im Weltraum zu erreichen, was das Ziel des russisch-chinesischen Entwurfs des internationalen Vertrags ist, der derzeit von der UN-Abrüstungs­konferenz geprüft wird.

Besondere Aufmerksamkeit sollte der Aufgabe des Schutzes des Cyberspace gewidmet werden, einschließlich einer Einigung in der Offenen Arbeitsgruppe der General­versammlung über Möglichkeiten zur Gewährleistung der internationalen Informations­sicherheit sowie der Ausarbeitung eines universellen Übereinkommens zur Bekämpfung der Nutzung von Informations- und Kommunikations­technologien zu kriminellen Zwecken im Rahmen des Ad-hoc-Ausschusses.

Wir werden das Büro für Terrorismus­bekämpfung und andere Antiterror-Organe der Vereinten Nationen weiterhin unterstützen.

Wir werden die dynamische Entwicklung der Beziehungen der Vereinten Nationen zur OVKS, zur GUS und zur Eurasischen Wirtschafts­union weiter fördern, um die Bemühungen im eurasischen Großraum zu koordinieren.

Russland ruft dazu auf, die Bemühungen zur Beilegung regionaler Konflikte zu verstärken. Wir halten es für vorrangig, den Stillstand bei der Schaffung eines unabhängigen palästinensischen Staates zu überwinden, die durch die NATO-Aggression zerstörte Staatlichkeit Iraks und Libyens wieder­her­zustellen, die Bedrohung der Souveränität Syriens zu neutralisieren, einen nachhaltigen nationalen Aussöhnungs­prozess in Jemen einzuleiten und das schwere Erbe der NATO in Afghanistan zu überwinden. Wir bemühen uns, das ursprüngliche iranische Atomprogramm wieder­zubeleben und um eine faire und um eine umfassende Lösung der Probleme auf der koreanischen Halbinsel. Die zahlreichen Konflikt­situationen in Afrika erfordern es, der Versuchung zu widerstehen, sie zum Gegenstand geopolitischer "Nullsummen­spiele" zu machen, und externe Akteure zur Unterstützung der Initiativen der Afrikanischen Union zu gewinnen. Die Lage im Kosovo und in Bosnien und Herzegowina, wo die USA und die EU hartnäckig daran arbeiten, den in der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats und dem Friedens­abkommen von Dayton verankerten internationalen Rechtsrahmen zu zerstören, gibt Anlass zur Sorge.

Frau Präsidentin!

In Zeiten des Wandels liegt es in der Natur des Menschen, Unterstützung und Trost in der Weisheit der Vorfahren zu suchen, die ebenfalls auf die Probe gestellt worden sind. Mit den treffenden Worten des ehemaligen UN-General­sekretärs James Hammarskjold[wp], der sich an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnerte: "Die UNO wurde nicht geschaffen, um die Menschheit in den Himmel zu führen, sondern um sie vor der Hölle zu retten."

Diese Worte sind aktueller denn je. Sie fordern uns alle auf, unsere individuelle und kollektive Verantwortung für die Schaffung der Voraussetzungen für eine sichere und harmonische Entwicklung künftiger Generationen wahrzunehmen. Dies erfordert den politischen Willen aller Beteiligten.

Wir sind zu dieser ehrlichen Arbeit bereit und davon überzeugt, dass der Fortbestand der Weltordnung nur durch eine Rückkehr zu den Wurzeln der Diplomatie der Vereinten Nationen gewährleistet werden kann, die auf dem wichtigsten Grundsatz der Charta beruhen, nämlich der Achtung der souveränen Gleichheit der Staaten.»[7]

– Anti-Spiegel[8]

Einzelnachweise

  1. Anna-Maria Schuster: Multipolare Weltordnung - Definition, helpster.de
  2. Kanzler Scholz im Interview mit dem Deutschlandfunk: "Die Welt wird multipolar werden", Deutschlandfunk am 18. September 2022
  3. Thomas Röper: Waren Geheimverhandlungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien der Grund für den US-Angriff?, Anti-Spiegel am 6. Januar 2020
    Anreißer: Die Frage, warum die USA den iranischen General Solemani[wp] genau jetzt ermordet haben, treibt die Weltpresse um. Es gibt Meldungen, Solemani sei auf einer Friedensmission zwischen Iran und Saudi-Arabien gewesen, die die USA verhindern wollten. Kann das sein?
  4. Die Rede Wladimir Putins auf dem Valdai-Forum am 27. Oktober 2022
    Wladimir Putin erläuterte in seiner Rede dem Valdai-Forum[wp] Russlands Vision einer neuen internationalen Ordnung, die auf Multipolarität beruht und nicht auf einer unipolaren Ordnung, vom Imperium USA und seinen Vasallen in der NATO beherrscht wird.
  5. Putin über die neue Weltordnung: Russland reicht allen Staaten die Hand, Anti-Spiegel am 28. Oktober 2022
    Anreißer: Wie jedes Jahr hat Putin auch jetzt wieder eine Grundsatzrede beim Valdai-Club gehalten. Dabei hat mit dem Westen und seiner Politik abgerechnet und gleichzeitig allen Staaten der Welt die Hand gereicht.
  6. Völkerrecht und Geopolitik: Was ist eigentlich die "regelbasierte Weltordnung"?, Anti-Spiegel am 31. Juli 2022
    Anreißer: Der Westen begründet seinen Kampf gegen Russland und China damit, die Länder stünden gegen die "regelbasierte Weltordnung". Da stellt sich die Frage, was die ominöse "regelbasierte Weltordnung" eigentlich ist.
  7. Выступление Министра иностранных дел Российской Федерации С.В.Лаврова на общеполитической дискуссии 77-й сессии Генеральной Ассамблеи ООН, Нью-Йорк, 24 сентября 2022 года, Russisches Außenministerium am 25. September 2022
    Erklärung des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten der Russischen Föderation Sergej Lawrow bei der allgemeinen Grundsatzdebatte der 77. Sitzung der UN-Generalversammlung, New York, 24. September 2022
  8. Dritter Weltkrieg: Kampfansage von Außenminister Lawrow an den Westen in der UNO-Vollversammlung, Anti-Spiegel am 26. September 2022
    Anreißer: In der UNO-Vollversammlung hat der russische Außenminister Lawrow eine Rede gehalten, die man mit Fug und Recht als historisch bezeichnen muss.

Querverweise

Netzverweise

  • "Es geht rund!", Freilich-Magazin am 5. März 2023
    Anreißer: Die globale Vormachtstellung der USA bröckelt und Staaten wie China und Russland fordern die Weltmacht zunehmend heraus. Erleben wir die Entstehung einer "multipolaren" Welt mit mehreren Weltmächten? In unserer neuen FREILICH-Ausgabe werfen wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen und klären, wie sich Europa positionieren sollte.
  • Youtube-link-icon.svg UKRAINE-KRIEG: Neue Weltordnung wohl eine multipolare Streitkultur - WELT (25. Februar 2023) (Länge: 1:16 Min.)
    Im WELT-Interview analysiert der Militär­historiker Sönke Neitzel[wp] die Folgen des Ukraine-Krieges auf aktuelle Weltordnung. Nach seiner Einschätzung werden wir nicht zu einer bipolaren Ordnung zurückkehren, aber die aktuelle multipolare Weltordnung wird wohl sehr viel konflikt­reicher sein, als bisher gedacht. Eine friedliche, durch Handel und kulturellem Austausch globalisierte Welt scheint ein Traum von gestern zu sein.
  • Thomas Röper - Anti-Spiegel:
    • Die (neue) Weltordnung: Das WEF-Treffen in Davos zeigt die Frontlinie im Krieg der Systeme auf, 16. Januar 2023
      Auszug: Es geht Russland um eine Weltordnung, in der kein Staat (oder eine kleine Gruppe von Staaten) anderen Staaten mehr vorschreiben können soll, wie man zu leben hat, welche Staatsform oder gar welche "Werte" ein Staat zu vertreten hat. Es geht um eine multipolare Weltordnung, in der die Staaten der Welt gleichberechtigt und auf Augenhöhe miteinander umgehen, ohne einander Sanktionen anzudrohen oder sonst wie Druck auszuüben.
      Das ist das Ziel Russlands und darum geht es bei dem Konflikt zwischen dem Westen und Russland in Wahrheit. Aber eine solche Weltordnung wäre das Ende des "parasitären" Systems der Globalisierung, das der Westen der Welt bisher aufgezwungen hat. Wir befinden uns - ohne Übertreibung - im finalen Kampf der Systeme. Die Ukraine ist nur ein bedauernswertes Bauernopfer, mit dem die in den USA herrschenden Eliten Russland schwächen wollen, indem sie Russland den Stellvertreterkrieg in der Ukraine aufgezwungen haben. Das ist zynisch, aber so funktioniert Geopolitik leider.
    • Lawrow: Die EU hat sich vollständig dem amerikanischen Diktat unterworfen, 19. Januar 2023
      Anreißer: Der russische Außenminister Lawrow hat seine Jahrespressekonferenz gegeben. Dabei hat er die russische Sicht wieder sehr deutlich formuliert und auch erklärt, warum Russland die EU als Gesprächspartner nicht mehr ernst nimmt.
      Auszug: Die Sanktionen gegen Russland werden offen als Mittel deklariert, um das Volk zu einer "Revolution" gegen die derzeitige Führung unseres Landes zu bewegen. Niemand achtet hier mehr auf irgendwelchen Anstand und niemand hat das vor. Allerdings spiegelt diese Reaktion, dieser fieberhafte Versuch, mit allen Mitteln, rechtlichen und unrechtlichen, mit verbotenen Methoden die Vorherrschaft der USA und des übrigen Westens - den Washington sich vollständig unterstellt hat - zu sichern, die Einsicht wider, dass sie historisch gesehen gegen den objektiven Lauf der Dinge handeln und im Grunde versuchen, die Entstehung der multipolaren Welt zu verhindern. Die wird nicht aufgrund von Entscheidungen irgendwelcher "Büros am Potomac" oder in einer anderen Hauptstadt entschieden, sondern ihren natürlichen Weg gehen.
    • Unwissenheit oder Lügen? Scholz schreibt ein Manifesto über Geopolitik, 11. Dezember 2022
      Anreißer: Bundeskanzler hat einen Artikel veröffentlicht, in dem er seine Sicht auf die Geopolitik darlegt. Der Artikel zeigt einmal mehr, dass Scholz von Geopolitik keine Ahnung hat und oft einfach nur dreist lügt.
      Auszug: Die globale Zeitenwende - Wie ein neuer Kalter Krieg in einer multipolaren Ära vermieden werden kann
      Die Welt erlebt eine Zeitenwende. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine bedeutet das Ende einer Ära. Neue Mächte sind erstarkt oder wiedererstarkt, darunter ein wirtschaftlich starkes, politisch selbstbewusstes China. In dieser neuen multipolaren Welt konkurrieren verschiedene Länder und Regierungs­modelle um Macht und Einfluss.
      (Anm.: Dass wir in einer "neuen multipolaren Welt" leben, ist eine bemerkenswerte Aussage, denn sie bedeutet, dass Olaf Scholz anerkennt, dass das Zeitalter der unipolaren Welt, in der die USA nach 1990 die einzige Weltmacht - "das Imperium", wie Historiker es nennen würden - war, vorbei ist. Bisher hat man solche Töne praktisch nur aus Moskau oder Peking gehört.)
    • Lawrow: EU und NATO sind Konfliktteilnehmer in der Ukraine, 16. November 2022
      Frage: Wir sagen immer, dass die Länder, die drei Viertel der Weltbevölkerung ausmachen, uns auch in Positionen zum Aufbau einer multipolaren Welt, über die Wladimir Putin auf dem Valdai-Forum gesprochen hat, unterstützen. Im wirtschaftlichen Bereich ist es schwierig, transnationale Unternehmen zu bekämpfen. Im militärischen Bereich finden gemeinsame Manöver statt. Wie sieht es in der Diplomatie aus? Was wurde hier auf dem G20-Treffen erreicht? Mit wem haben Sie gesprochen? Wessen Unterstützung haben wir auf dem Gebiet der Medien und der Diplomatie? Wie könnte das in Zukunft aussehen?
      Lawrow: Die Antwort ist einfach: Niemand außer dem Westen und seinen engsten Satelliten hat sich den anti-russischen Sanktionen angeschlossen. Alle Länder der Dritten Welt fordern, wenn dieses Thema angesprochen wird - man kann das nicht vermeiden, da der Westen es als Priorität ansieht, die ukrainische Geschichte in jede Diskussion einzubringen -, eine friedliche Lösung und eine schnellst­mögliche Einigung. Sie wissen sehr gut, dass dieser Prozess von der Ukraine selbst behindert wird, die Verhandlungen mit der Russischen Föderation unter anderem juristisch durch ein Dekret von Selenskij verboten hat. Daher sollte die Frage, wie ich heute in kurzen Gesprächen mit dem französischen Präsidenten Macron und dem deutschen Bundeskanzler Scholz sagte, nicht an uns gerichtet werden.