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Experte

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Achtung, dieser Artikel könnte satirische Bestandteile aufweisen!

Der Experte ist eine unscharfe Bezeichung eines Menschen mit unklarer Qualifikation oder Berufsbezeichnung.

Es gibt Wörter, die streuen wir in unsere Sätze ein, obwohl sie keinen tieferen Sinn haben. Sie sollen lediglich über Lücken im Text hinweghelfen und dabei ein kuscheliges Gefühl vermitteln. In der Linguistik werden sie, eben weil sie überall stehen könnten, Passepartout-Wörter genannt (französisch für passer "hin­durch­gehen" und partout "überall"). Der Experte ist ein solches Füllwort. Einst war damit mal jemand gemeint, der über­durch­schnitt­lich viel von einem Gebiet versteht, der darin also erprobt ist, auf lateinisch expertus. Inzwischen allerdings wird der Experte vor allem von Medien als Titel für all die Menschen verwendet, die entweder keine anständige Berufs­bezeichnung haben oder deren Beruf so kompliziert ist, dass er nicht in die dreißig Zeichen langen Untertitel auf dem Bildschirm passt. So werden diese dann zum Beispiel zu Internet-Experte, Terrorismus-Experte oder Wirtschafts-Experte, gelegentlich auch hoch­geschwurbelt durch den Zusatz "führende". Das klingt kompetent und soll darüber hinwegtäuschen, dass der Betreffende auch nicht mehr über die Situation weiß, als die Moderatoren und die Zuschauer. Denn seit Massen­medien allein in Deutschland täglich gefühlte dreihundert Experten verheizen, um die komplizierte Welt zu erklären, werden sie knapp. Insofern ist der Begriff längst Medien-Neusprech und steht nicht mehr für einen Fachmann, sondern für "irgend­jemanden, der bereit war, mit uns über diesen Unsinn zu reden". Oder, wie der Medien- und/oder Internet-Experte Stefan Niggemeier in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntags­zeitung" schrieb: "Wer solche Experten kennt, braucht keine Laien." [1]

Eingeweideschau

Zitat: «Im Nachhinein weiß der Experte immer, was andere Experten übersehen haben.»

Experten werden in Deutschland vor allem als Auguren und Zukunftsdeuter gebraucht. Sie sollen uns die Frage beantworten, ob die Flüchtlings­ströme jemals abreißen, ob Angela Merkel vielleicht zurücktritt und ob man den IS besser wegbombt oder lieber wegkuschelt. Am besten sind die Experten allerdings, wenn sie das tun, was seit den römischen Auguren ihre Spezialität ist: Eingeweideschau betreiben. Im Nachhinein weiß der Experte immer, was andere Experten übersehen haben.

Das Wort Experte kam um 1800 ins Deutsche aus dem Französischen, wo expert auch ein Adjektiv ist, das "erfahren" bedeutet. Offenbar verlangte die Aufklärung und die beginnende industrielle Revolution[wp] nach einem Wort für Leute, die wirklich etwas von Sachen verstehen. Christian Friedrich Schwan[wp] erläutert in seinem 1789 erschienenen französisch-deutschen Wörterbuch, was experts sind:

"Werkverständige, gewisse in einer Sache wohlerfahrene auch zuweilen geschworene Männer, welche auf Befehl der Obrigkeit gewisse Sachen besichtigen, beurteilen, schätzen etc. und davon Bericht erstatten müssen."

Im Schweizerischen ist Experte früher verbreitet als im Deutschen Reich. Dort heißt es 1804 in den "Gesetzen und Dekreten des Grossen und Kleinen Raths des Cantons Bern": "Die Rinde aus den obrigkeitlichen Wäldern soll den Gerber­meistern nach ihrem wahren Werte vermittelst einer durch Experte zu machenden unpartheyischen Schätzung dargeschlagen werden." Der Plural wird im neunzehnten Jahrhundert noch lange ohne n gebildet: die Experte.

Der Experte muss den oft abergläubischen Zeitgenossen damals manchmal wie ein Wundermann vorgekommen sein. Der Aufklärungs­philosoph Gottfried Immanuel Wenzel erzählt 1800 in seinem Buch "Die natürlichen Zauberkräfte des Menschen" von einem Korsen, dessen Methoden an die Spezialisten aus "CIS" erinnern: Er konnte am Geschmack und Geruch der Erdarten, die Menschen an sich hatten, deren Vaterland erraten. In Corte, das kurze Zeit Hauptstadt des unabhängigen Korsika war, präsentierte ihm die Obrigkeit einen Gefangenen, der seine Herkunft nicht verraten wollte. Wenzel erzählt: "Dieser Experte nach der neuesten Mode beroch die Stiefel des Gefangenen und erkannte an dem Geruch der unter dem Absatze angehängten Erde, dass der Mann von den Schweizer­gebirgen her war." Der Häftling war darüber so verblüfft, dass er gestand.

Alle diese Beispiele zeigen: Mit Experten waren zu Beginn der Karriere des Wortes gerichtlich bestellte Sachverständige gemeint. Und mit Sachverständiger wird expert auch in den deutschen Fassungen des "Code Napoléon"[wp] übersetzt.

Zitat: «Heute ist man Experte, wenn man in drei Talkshows war.»

Sachverstand ist heute bei Experten nicht mehr selbstverständlich. Das hat auch damit zu tun, dass das Wort Experte neuerdings zwei ganz unterschiedliche Arten von Personen bezeichnet. Das Fernsehen und später das Internet haben durch ihren stetigen Bedarf an Zitaten, Erklärungen und Meinungen einen neuen Typus geschaffen, der hierzulande ebenfalls Experte genannt wird. Man wird zum Experten nicht mehr, indem man eine Sache zwölf Semester studiert und sein Wissen dann ein Leben lang vertieft, sondern indem man nach einer vagen Berührung mit dem Thema in ein paar Talkshows gesessen hat. Der Inbegriff dieses Experten ist Jürgen Todenhöfer, ein Mann, der kein Arabisch kann, aber von vielen Menschen für kompetent gehalten wird, unser Verhältnis zum Islam zu erklären. Im englischen Sprachraum hatte der 2011 gestorbene Journalist Christopher Hitchens[wp] eine ähnliche Rolle inne.[2]

Pandit

Zitat: «Der englische Begriff "pundit" fehlt im Deutschen.»

Dass das Beharren auf einer Unterscheidung zwischen Experten und "Experten" keine todenhöfer­feindliche Erbsen­zählerei ist, beweist ein Blick ins Englische. Dort gibt es für den Typus des ewigen Talkshow-Gasts ein eigenes Wort: pundit[wp]. Es kommt aus dem indischen und bezeichnete dort einen Sanskrit-Gelehrten[wp] oder einen Fachmann für hinduistische Rechtspraxis, den die britischen Kolonial­herren für ihre Prozesse heranzogen. Seit 1816 kann es laut dem "Oxford English Dictionary" auch jemanden bezeichnen, "der oft gebeten wird, der Öffentlichkeit seine Meinung mitzuteilen".

Der pundit ist natürlich selten vollkommen ahnungslos, aber deswegen noch lange kein Fachmann. Sein Prototyp ist der ehemalige Fußballer, der jetzt fürs Fernsehen Spiele analysiert. Manchmal hat er auch fünf Bücher gelesen, bevor er sich zu Martin Luther[wp], dem Islam, der Welt­wirtschaft, dem Klimawandel oder was gerade so anliegt, äußert. Und wenn er einmal damit durchgekommen ist, liest er vielleicht auch noch fünf andere Bücher, um seine Themen­palette zu erweitern.

Wir haben im Deutschen natürlich ebenfalls Wörter für diesen Typus. Nur sind sie gleich alle so furchtbar negativ und beleidigend: Meinungs­fabrikant, Talkshow-Schwätzer, Faselkopf. Das englische pundit hat dagegen den Vorteil der Sachlichkeit. Es deutet nur an, dass eben kein Experte gemeint ist, obwohl der pundit manchmal tatsächlich einer sein kann. Wir brauchen dringend auch so ein Wort.[2]

Wehrmachtsexperte

Es gibt in Deutschland offenbar (immer noch) "Wehrmachtsexperten", die einen Russland­feldzug 3.0 propagieren. Gleich ihren historischen Vorgängern unterlaufen diese "Experten" ebenfalls fatale Fehleinschätzungen:

Das Problem mit den Entscheidungsträger im Westen besteht darin, dass sie an Universitäten studieren, in denen schon die Aus­einander­setzung mit den russischen Standpunkten als "russische Propaganda" eingestuft wird. [...] Die Studenten im Westen kennen die russischen Positionen und Argumente in der Regel nicht einmal.

Und wenn die Studenten sie nicht kennen, dann gilt das auch für die so genannten Experten im Westen, denn die sind ehemalige Studenten, die nach dem Studium in westlichen Denkfabriken arbeiten und dort die Politik gegenüber Russland ausarbeiten. Alle diese westlichen "Experten" sind Opfer ihrer eigenen Propaganda, die sie für wahr halten.

Aufgrund ihrer Unwissenheit gehen sie bei ihren Analysen und Empfehlungen von falschen Voraussetzungen aus, wie beispielsweise die Sanktionen gezeigt haben. Im Westen war man im Februar 2022 überzeugt, dass die Sanktionen Russlands Wirtschaft innerhalb von Wochen oder Monaten zerschlagen würden, was bekanntlich nicht passiert ist.

Rote Linien

Die westliche Propaganda stellt den russischen Präsidenten Putin als hemmungslosen Kriegstreiber dar, dabei verfolgt er eine auf Deeskalation ausgelegte Politik. Das haben schon die Ereignisse nach 2014 gezeigt, als Putin - trotz Kritik im eigenen Land - versucht hat, das Minsker Abkommen umzusetzen und so zu einem Frieden im Donbass zu kommen. Er tat das acht Jahre lang mit äußerster Geduld, obwohl Kiew sich all die Jahre geweigert hat, auch nur einen einzigen Punkt des Abkommens umzusetzen, und obwohl der Westen, anstatt von Kiew die Umsetzung des Abkommens zu fordern, Russland beschuldigt hat, das Abkommen nicht umzusetzen.

Im Westen haben die "Experten" diese Geduld Putins offenbar als Schwäche ausgelegt und Russland daher immer weiter provoziert. Vor allem einen NATO-Beitritt der Ukraine hat Russland immer als rote Linie bezeichnet und der von der NATO ab Ende 2021 verstärkt anvisierte Beitritt der Ukraine dürfte der wichtigste Grund gewesen sein, warum Russland im Februar 2022 in der Ukraine interveniert hat.

Das russische Eingreifen in der Ukraine hätte den Entscheidungs­trägern im Westen eigentlich eine Lehre sein sollen, die russischen roten Linien ernst zu nehmen. Aber das war es nicht, oder nur sehr kurz. Im März und April 2022 hatte der Westen noch Angst, der Ukraine tödliche Waffen zu schicken, weil man befürchtete, damit zur Kriegspartei zu werden.

Aber schon kurz danach begann die Lieferung tödlicher Waffen und der Westen testete die russischen roten Linien erneut aus und erneut war Putin sehr geduldig. Heute werden russische Soldaten von Panzern und Artillerie aus dem Westen getötet, die oft sogar von westlichen Soldaten bedient werden.

Wieder scheint der Westen zu glauben, dass Russland Angst hat, zu reagieren, und daher wird nun sogar über die Entsendung westlicher Boden­truppen in die Ukraine diskutiert. Offenbar glauben die westlichen "Experten" nun, dass Russland eine so große Angst vor einem Zusammenstoß mit dem Westen hat, dass es nicht auf reguläre westliche Soldaten in der Ukraine schießen würde.

Darauf, dass man das im Westen denkt, deuten die Meldungen hin, Frankreich plane die Stationierung französischer Soldaten am Dnjepr und bei Kiew, um ein russisches Vorstoßen über den Dnjepr, der die Ukraine in Nord-Süd-Richtung teilt, zu verhindern. Dass ein paar tausend entsandte französische Soldaten die russische Armee aufhalten könnten, ist militärisch gesehen Unsinn, man spekuliert im Westen also darauf, dass Russland davor zurück­schrecken könnte, die französischen Einheiten anzugreifen.

Offensichtlich macht man im Westen wieder den Fehler, Putins Geduld und seinen Wunsch, eine Eskalation nach Möglichkeit zu vermeiden, für Schwäche zu halten. Für Russland geht es in der Ukraine um die eigene nationale Sicherheit und bei der hört Putins Geduld auf, wie der 24. Februar 2022 gezeigt hat. Russland wird von seinem Ziel, die Ukraine zu demilitarisieren und einen NATO-Beitritt der Ukraine zu verhindern, nicht abrücken. Und auch französische oder andere westliche Soldaten in der Ukraine werden daran nichts ändern.

Präsidentschaftswahl als Vertrauensfrage

Ein weiterer Fehler der westlichen "Experten" ist deren Einschätzung der russischen Präsidentschafts­wahlen. Im Westen wird behauptet - und offenbar glauben das auch viele westliche "Experten" -, dass die russischen Wahlen gefälscht waren und dass es in Russland insgeheim viel Widerstand gegen Präsident Putin und seine Politik gibt. Wieder sind diese "Experten" zu Opfern ihrer eigenen Propaganda geworden, die sie inzwischen selbst glauben.

Thomas Röper[3]

Definitionen

Definition: «Ein Experte ist jemand, der (1) aufgrund lang­jähriger Erfahrung über bereichs­spezifisches Wissen/Können verfügt, (2) er ist jemand, der dieses Wissen in der Realität auch anwenden kann und angewendet hat, (3) er ist jemand, der in der Lage ist, Lösungen für reale Probleme zu erarbeiten, jemand der in der Vergangenheit Problem­lösungen erarbeitet hat, die sich in der Realität bewährt haben, der (4) entsprechend über Urteils­vermögen verfügt, und (5) bereit ist, die Konsequenzen aus empirischen Fakten zu ziehen auch wenn sie seiner bisherigen Auffassung wider­sprechen und der bereit ist, diese Konsequenzen auch dann zu ziehen, wenn sie seinem Auftrag­geber vorhersehbar nicht gefallen werden. Diese Bereitschaft zeigt sich darin, dass er in nicht emotionaler Weise zu sprechen in der Lage ist, Gegen­positionen sachlich zu diskutieren bereit ist und dass ihm Erkenntnis wichtiger als Bekenntnis ist.» - Michael Klein[4]
Bonmot: «Die Zehn Gebote[wp] sind deswegen so kurz und logisch, weil sie ohne Mitwirkung von Experten­kommissionen zustande gekommen sind.» - Charles de Gaulle[wp][5]
Zitat: «Ein Experte sollte "Expertise" (= Kompetenz, Fachkenntnis) haben.»
Zitat: «Alle namhaften Experten unterstützen die Regierungs­politik, weil man nur zum namhaften Experten wird, wenn man die Regierungspolitik unterstützt.» - Norbert Bolz[6]

Einzelnachweise

  1. Kai Biermann: Experte, 24. Februar 2013
  2. 2,0 2,1 Matthias Heine: Wir brauchen ein anderes Wort für "Experte", Die Welt am 27. November 2015
    Anreißer: Nicht jeder, der in einer Talkshow den Islam, den Weltfrieden oder Übergewicht bei Kindern erklärt, ist ein Experte. Uns Deutschen fehlt ein Wort, das Engländer und Amerikaner für solche Leute haben.
  3. Thomas Röper: Wie Russland auf die Entsendung von westlichen Truppen in die Ukraine reagieren würde, Anti-Spiegel am 22. März 2024
    Anreißer: Im Westen spekulieren viele offenbar darauf, dass die Entsendung europäischer Truppen zur Verteidigung des Dnjepr oder Kiews Russland von einem weiteren Vormarsch abschrecken würde. Wenn das das Kalkül der Entscheidungsträger im Westen ist, liegen sie allerdings grundfalsch.
  4. Michael Klein: Wider die Expertenschwemme, Kritische Wissenschaft - critical science am 17. Januar 2014
  5. Charles de Gaulle[wp], französischer General und Staatsmann
  6. Twitter: @NorbertBolz - 16. Feb. 2022 - 12:58 Uhr

Querverweise

Netzverweise

Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Experte von Kai Biermann, 24. Februar 2013.
Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Wir brauchen ein anderes Wort für "Experte" von Matthias Heine, 27. November 2015.