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Deutungshoheit

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Deutungshoheit ist die konkrete Umsetzung eines Letzt­begründungs-Anspruches[wp] zu Gunsten dessen, was ein Träger der Deutungshoheit als Berechtigung[wp] und/oder Wahrheit zu erkennen glaubt. Letztlich ist es das, was die "Unfehl­bar­keit des Papstes"[wp] in katholischen Lehrfragen ausmacht.

Mit dem Anspruch, nur selbst ein Thema richtig deuten zu können, ist der Versuch verbunden, die öffentliche Meinung innerhalb eines Unternehmens, einer welt­anschaulichen Organisation, innerhalb eines Familien­verbandes oder der Gesellschaft als Ganzes zu beeinflussen. Deutungshoheit kann entstehen durch Manipulation oder Vereinnahmung der kommunikations-ökonomischen Infrastruktur, sei es durch Übernahme einer Medienanstalt durch das Militär, durch Zensur-Anweisungen einer staatlichen Abteilung oder die Etablierung einer political correctness im öffentlichen Raum. Die Ver­einnahmung kann auch durch die Gestaltungs­hoheit der Befehlskette erfolgen, wie etwa im Militär, innerhalb eines Konzerns, eines Medien­betriebs, einer Arbeits­gruppe oder einer politischen oder welt­anschaulichen Sekte. Deutungshoheit kann auch durch Unter­schlagung plausibler, jedoch missliebiger Argumente erfolgen oder durch Ausgrenzung missliebiger Meinungs­träger durch die Nazikeule oder den Vorwurf frauen­feindlich, homophob oder/und ausländer­feindlich zu sein.

Die Deutungshoheit ist ein wichtiger Schritt, um die Diskurshoheit zu erringen, die für die Durchsetzung grundsätzlicher politischer Entscheidungen wichtig ist. Der Kampf um die Diskurshoheit ist dabei immer auch ein Kampf um Wörter.

Deutungshoheit und kulturelle Hegemonie

Zitat: «Gesellschaftliche Machtpositionen stellen sich auch als symbolische Macht dar - Deutungs­hoheit bezeichnet das Privileg von Klassen oder Gruppen von Personen, die für sich das alleinige Recht in Anspruch nehmen (oder denen es zugesprochen wird), historische Ereignisse und/oder Werke der bildenden Kunst verbindlich interpretieren zu dürfen, ihnen also einen gesellschaftlich anerkannten Wert oder eine entsprechend verbindliche Bedeutung zuzuschreiben. Es geht beim Kampf um Deutungs­hoheiten um die "richtige" Deutung, nicht um das Recht auf Interpretation allgemein. Gramscis[wp] Konzept der Hegemonie entfaltet sich als Deutungs­hoheit einzelner, als diskursive Macht, die von denen, die sich der Hegemonie unterwerfen, reproduziert wird. Ein lange als verbindlich akzeptierter Hintergrund war der Bildungs­gedanke, der einen Urteilenden nobilitieren konnte. Mit der zunehmenden Bedeutung von Sub- und Gegen­kulturen und gesellschaftlicher Differenzierung zerfällt aber der ursprüngliche Machtanspruch, die Homogenität der Urteilenden und die Verbindlichkeit ihrer Normen und Kriterien sind nicht mehr gegeben.» - Hans Jürgen Wulff[1]

Deutungshoheit und Journalismus

Zitat: «Ich denke, dass freie Journalisten heute nicht mehr nur an einem Ereignis tiefergehend recherchieren sollen, sondern auch immer reflektieren, wie die Leitmedien dieses darstellen und was der Normal­bürger überhaupt wissen kann. Wer unverblümt beschreibt, was ist, wird schnell in die Ecke der Verschwörungs­theoretiker gedrängt, weil es für den Normalbürger einfach zu unglaublich klingt. Den großen Plot Gesamt­zusammen­hang im Auge zu haben ist zwar wichtig, aber damit erreicht man die wenigsten Bürger. Im Kleinen beschreiben, was die Leitmedien nicht berichten und mit dem verbinden, was der Normal­bürger weiß, kann die Eintrittskarte sein, dass die Widersprüche zwischen der Bericht­erstattung der Leitmedien und der Realität irgendwann so groß werden, dass man sich auch für den größeren Plot Gesamt­zusammen­hang interessiert, und dann ist deren Deutungshoheit dahin.» - Der Waidler[2]
Zitat: «Die Leute - besonders Journalisten, Geisteswissenschaftler, Gutmenschen - stürzen sich mit Vehemenz auf Begriffe, ob nun positiv oder negativ besetzt, und schwafeln mit unendlicher Inbrunst darüber, verteidigen sie, greifen sie an, drehen sich intensiv darum - ohne zu wissen, was der Begriff bedeutet.

Schlimmer noch: Vielen ist sogar bewusst, dass sie den Begriff nicht definieren können, aber das stört sie nicht nur nicht, sondern sie wollen das sogar, weil sie sich - wie bei "Gleichberechtigung", die später durch das Gegenteil "Gleichstellung" ersetzt wurde - nicht festlegen, sondern die Möglichkeit offen halten wollen, ihr Geschwätz per Diskurs­änderung ständig beliebig neu auszurichten.

Begriffe wie "Demokratie", "Wissenschaft", "Geschlecht" haben überhaupt keine Bedeutung, keine Substanz, keine Semantik mehr, sondern sind nur noch Spielbälle in der Willkürlichkeit des linken Tagesgeschwätzes. "Meinung" und "Hass": Ich hatte es von der Konferenz im NDR berichtet, keiner weiß, was das ist, aber man ist sich sicher, dass Hass keine Meinung sei, deshalb der Meinungsfreiheit nicht unterliege, aber was das dann konkret sein solle, das lege der jeweils tagesaktuelle Diskurs fest.[3] Es ist morgen etwas anderes als heute, und heute anders als gestern.» - Hadmut Danisch[4]

Deutungshoheit vor Luther und Gutenberg

Zitat: «Man könnte Martin Luther[wp] zusammen mit Gutenberg[wp] als die Blogger und das Internet des Mittelalters[wp] ansehen, die damit die Wende zur Neuzeit eingeleitet haben.

Im Mittelalter hatte - Parallele zu unseren Medien des 20. Jahrhunderts - die Kirche das Informations­monopol und die Auslegungshoheit.

Die Kirche. Die Klöster waren die Archive mit dem angesammelten Wissen der Menschen. Weitergegeben durch hand­schriftliche Bücher, geschrieben und verwahrt von Mönchen. Im Privatbesitz befanden sich nur wenige Bücher und nur wenige Menschen konnten lesen. Die Kirche sagte den Menschen, was in der Bibel steht, denn diese gab es nur in Latein (bzw. Altgriechisch, Hebräisch, Aramäisch u.s.w.). Die Priester erzählten, was in der Bibel steht, und wie man es verstehen muß.

Dann kam Luther und übersetzte die Bibel ins Deutsche. Und gleichzeitig mit dem aufkommenden Buchdruck, verbreitete sich diese rasant. Man war nicht mehr auf schreibende Mönche angewiesen, man konnte selber drucken. Und nun auch lesen und damit selbst interpretieren.

Die Macht der Kirche war damit tief beschädigt. Die Menschen ließen sich nicht mehr so einfach erzählen, was sie zu denken hatten und wie sie was zu verstehen hatten.

Die Kirche hat damals Luther als "Ketzer" öffentlich angeklagt, weil er ihr Lehr-, Wahrheits- und Deutungs­monopol verletzt hat. Bis er sich dann unter dem Schutz eines Mäzens zurück­gezogen und im Exil weiter­geschrieben hat - unter Pseudonym. Erinnert einen irgendwie an die, die gerade im Ausland pseudonymisiert schreiben, was hier nicht mehr geht.

Ist die Reaktion der katholischen Kirche auf Luther nicht die gleiche, wie die der heutigen Presse auf die Blogger?

Ist das nicht eine Wiederholung des im Prinzip gleichen Vorgangs? Der Monopolist beschimpft den neuen Konkurrenten, der durch technologischen Fortschritt das Monopol gebrochen hat und dem "kleinen Mann" das Publizieren und Lesen alternativer Ansichten ermöglicht, als Lügner, bezichtigt ihn der Unwahrheit, des Abfalls von der orthodoxen Ansicht?» - Hadmut Danisch[5]

Literatur

  • Hans-Bernd Brosius/Katja Schwer: Die Forschung über Mediengewalt. Deutungs­hoheit von Kommunikations­wissenschaft, Medien­psychologie oder Medien­pädagogik. Nomos 2008, ISBN 3-8329-3371-9

Einzelnachweise

  1. Hans Jürgen Wulff: Deutungshoheit im Filmlexikon
    Literatur: Bocock, Robert: Hegemony. Chichester: Horwood [...] 1986 - Ives, Peter: Language and hegemony in Gramsci. London [...]: Pluto Press 2004
  2. Langsam bröckelt die Deutungshoheit, Der Waidler am 12. April 2019
  3. Siehe Hadmut Danisch - Ansichten eines Informatikers:
  4. Hadmut Danisch: Was ist Faschismus?, Ansichten eines Informatikers am 31. Januar 2024
  5. Hadmut Danisch: Mediengeschichte wiederholt sich, Ansichten eines Informatikers am 11. Dezember 2016

Querverweise

Netzverweise

  • Abnutzungsfrieden - Die Schlacht um die Deutungshoheit, NuoFlix am 23. April 2023, 120:17 Min.
    Zu glauben, dass man Russland zwingen kann aufzugeben, das ist eine solche Narretei, die zum Himmel schreit", sagt Horst Teltschik[wp], der ehemalige Kanzlerberater unter Helmut Kohl. Doch genau dieses Szenario wird im heutigen politischen Forum als Mehrheits­meinung propagiert. Aus diesem Trugschluss generiert sich eine komplette medial-politisch unterwanderte und eine dem Wachstum untergeordnete Aufrüstungs­industrie.
    Die Flak-Schiffe ARD und ZDF und große Teile der Presselandschaft agieren als Gewissens­polizei ebenso, wie sie es in Zeiten der Lockdown-Politik taten. Besorgte Menschen, die Frieden als Ergebnis von Diplomatie und Verhandlungen betrachten, und welche die Sorge um eine atomare Eskalation umtreibt, werden medial mit Argwohn betrachtet und mit allen Mitteln der "Schwarzen Rhetorik" gebrandmarkt. Prinzipieller Pazifismus, scheint in diesen als "Zeitenwende" verkauften Tagen des Krieges in der Ukraine, schon als halbe Mittäterschaft gewertet.
    Welche Haltung die Richtige ist, möchte das unverblümt eskalierte Gewissens- und Beitrags­service-Medium mal klar, unterschwellig, in der Wortwahl tendenziell oder auch eindeutig vermitteln zu wollen. So sticht wohl die einseitig gewichtete Position ihrer Gäste- und Experten­auswahl in den tagtäglichen Talkshows besonders hervor.
    Wladimir Selenskij verspricht seinen Bürgern den Sieg, eine vollwertige Mitgliedschaft in der EU und verleiht Soldaten, und Hinterbliebenen der Soldaten, Orden. Wladimir Putin fühlt sich von seinen westlichen Partnern betrogen und sieht sich nicht zuletzt von Angela Merkels Aussage, dass das Minsker Friedens­abkommen ursprünglich als Zeitgewinn für ukrainische Aufrüstung geeignet war, in seinem völker­rechts­widrigen Vorgehen bestätigt, da man ihm mit der erstarkten NATO keine andere Wahl ließ.
    Sind die meisten Kriege durch Verhandlungen beendet worden?
    Wer sind die Nutznießer der verengten, zum Teil fehlenden Debattenkultur?
    Dieser zweistündige Film dokumentiert die Form und inhaltliche Auseinandersetzung im Ukraine-Konflikt aus deutscher Sicht anhand der von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten Demonstration "Aufstand für Frieden" in Berlin am 25.2.2023, bietet geschichtliche Zusammenhänge aus bereits vergangenen Konflikten und Bericht­erstattungen, zeigt Sichtweisen von Demonstranten und Gegen­demonstranten, und wirft die große Frage auf, welche Mittäterschaft den Medien vorzuwerfen ist, die die Deutungshoheit mit allen Mitteln zu verteidigen wissen, und guten, der Öffentlichkeit als unparteiische Informations­quelle dienenden Journalismus längst über Bord geworfen haben. Koste es was es wolle.
  • Sofia Taxidis: Nur eine Geldfrage - Wikipedia: erfolgreichstes Machtinstrument linker Deutungshoheit, Tichys Einblick am 5. April 2019
    Tatsächlich hat der Kampf um die Meinungshoheit auf Wikipedia noch gar nicht begonnen. Auf wohl keinem Feld stehen die politischen Machtverhältnisse so krass im Missverhältnis.
  • Dietrich W. Thielenhaus: Empörung und Betroffenheit - Medien: Kampf um die Deutungshoheit, Tichys Einblick am 5. April 2019
    Wer glaubt, sich [...] auf das Angebot seriöser Sach­informationen beschränken zu können, findet sich sehr schnell am vernachlässigten Ende der publizistischen Nahrungs­kette wieder.) (Die ESBA-Formel: Zu den wegweisenden Altmeisterinnen dieses abgekarteten Spiels mit verteilten Rollen gehört zweifelsfrei Claudia Roth, deren gesamte politische Karriere auf ein konsequent umgesetztes Kommunikations­konzept zurück­zu­führen ist, das sich auf die Formel ESBA bringen lässt. Die Anfangs­buchstaben stehen für die Erreichung folgender öffentlichkeits­wirksamer Ziele: Empörung, Skandalisierung, Betroffenheit und Aktion. Wer hat sie nicht vor Augen - Frau Roth, die mit rollenden Augen und bebender Unterlippe - in Robin-Hood-Attitude - unerträgliche Zustände vor der Kamera anprangert, daraus möglichst pauschale Schuld­zuweisungen gegenüber dem politischen Gegner ableitet, sodann die Zuschauer einer solidarischen Mit­haftung unterwirft, um schließlich sofortige Maßnahmen zur wie auch immer gearteten Problem­lösung zu fordern.
Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Deutungshoheit (18. Oktober 2012) aus der freien Enzyklopädie Wikipedia. Der Wikipedia-Artikel steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported (CC BY-SA 3.0). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar, die vor Übernahme in WikiMANNia am Text mitgearbeitet haben.