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Schweigespirale

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Hauptseite » Diskurs » Schweigespirale

Das Theorem der Schweigespirale ist Teil einer Theorie der öffentlichen Meinung, wie sie in den 1970er-Jahren von Elisabeth Noelle-Neumann[wp] formuliert wurde. Das Theorem postuliert, dass die Bereitschaft vieler Menschen, sich öffentlich zu ihrer Meinung zu bekennen, in bestimmten Fällen von der wahrgenommenen Mehrheits­meinung abhängt. Dabei können die Massen­medien, vor allem das Fernsehen erheblichen Einfluss auf die Rezipienten und damit auf die öffentliche Meinung ausüben. Damit steht die Schweigespirale für eine erneute Hinwendung der Medienwirkungsforschung[wp] zur Hypothese der "mächtigen Medien"[wp].

Definition

Die zentralen Annahmen der Schweigespirale sind die folgenden:[1][2]

  1. Die meisten Menschen empfinden "Isolationsfurcht", wollen nicht sozial isoliert[wp] sein ("Soziale Natur des Menschen").
  2. Menschen machen sich ständig ein Bild von der Verteilung der Meinungen in der Öffentlichkeit und von der Entwicklung dieser Verteilungen (mittels eines "Quasi-Statistischen Wahrnehmungs­organs").
  3. Die Bereitschaft, seine Ansichten öffentlich darzustellen, ist unterschiedlich stark ausgeprägt, je nach der vom Individuum wahr­genommenen Verteilung der Meinungen und der erwarteten Entwicklung der Meinungen in der Gesellschaft. Menschen, die den Eindruck haben, ihre Meinung sei im Aufsteigen begriffen oder schon in der Mehrheit, äußern sich bereitwilliger in der Öffentlichkeit, bekennen sich eher öffentlich durch Meinungsäußerungen, Verhalten oder Symbole zu ihrer Meinung, als diejenigen, die glauben, mit ihrer Meinung zu den Verlierern oder zur Minderheit zu gehören. Die Minderheits­fraktion verfällt in Schweigen aus Furcht, sich sozial zu isolieren. Dadurch erscheint die Gruppe der ersteren noch stärker und in einem Spiralprozess scheint diese Meinung die alles beherrschende zu werden - ohne es tatsächlich sein zu müssen.
  4. Die Wahrnehmung der Menschen, welche Meinungen vorherrschend sind (oder in Zukunft sein werden), wird maßgeblich durch die in den Massenmedien vertretenen Meinungen und Argumente bestimmt.
  5. Voraussetzung für das Auftreten einer Schweigespirale ist, dass der Gegenstand, das Thema des Meinungs­kampfes "moralisch geladen" ist, also das emotionale Potential hat, die Meinung der Minderheit nicht als rational falsch, sondern als moralisch schlecht erscheinen zu lassen.

Eine Funktion der Massenmedien in diesem Prozess besteht darin, dass (im Falle der klassischen Schweigespiral-Situation, in der eine tatsächliche Minderheit öffentlich als Mehrheit erscheint) die faktische Minoritäts­meinung (Minder­heits­meinung) durch Medien parallel und gehäuft als Mehrheits­meinung dargestellt wird. Aus Angst isoliert zu werden, unterlassen es in der Folge Anhänger der eigentlichen Mehrheits­meinung, ihre Meinung öffentlich zu äußern. Dies führt Noelle-Neumann auf die soziale Natur des Menschen zurück, die ihn Isolation fürchten lässt und jeden einzelnen einem Konformitäts­druck[wp], das heißt einem Anpassungs­druck, unterwirft. Aus diesem Grund ist jeder Mensch ständig damit beschäftigt, seine Umwelt zu beobachten ("Prozess der quasi-statistischen Wahrnehmung der öffentlichen Meinung"). Dadurch erfährt er, welche Meinungen und Einstellungen öffentlich geäußert werden können, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Für den Prozess der Schweigespirale bedeutet das, dass die vermeintliche Minderheits­meinung (also die echte Mehrheits­meinung) mit der Zeit zur tatsächlichen Minderheits­meinung wird, da in dem Maße, wie die Anhänger der eigentlichen Mehrheits­meinung verstummen, die Anhänger der eigentlichen Minderheitsmeinung ermutigt werden ihre Ansichten öffentlich zu äußern, ohne Isolation fürchten zu müssen. Auf diese Weise kann sich letztlich tatsächlich ein Umschwung der öffentlichen Meinung einstellen.

Moderne Massenmedien sind aber keine Voraussetzung für die Entstehung einer Schweigespirale, sie verstärken und beschleunigen aber durchaus die Effekte, die durch Isolationsfurcht auftreten. Isolationsfurcht ist jedoch auch in "massen­medien­freien" Gesellschaften zu beobachten. Isolations­drohend wirken zum Beispiel zeitgenössische moralische Grundsätze, gegen die niemand öffentlich verstoßen will, aus Angst gemieden zu werden.

Rezeption

Vor allem in Deutschland wurde Noelle-Neumanns Theorie der Schweigespirale kontrovers diskutiert und auch international wurde vielfach Kritik geübt.[3] Hauptkritikpunkt ist die mangelnde empirische Fundierung der Theorie. So wurde speziell der Wahlanalyse von 1976 vorgeworfen, dass Noelle-Neumann keine Inhalts­analyse der Fernseh­bericht­erstattung durchgeführt hatte und ihre Einschätzung der Journalisten­einstellung vermutlich vornehmlich auf Befragungen von Print­journalisten beruhte. Die Tatsache, dass dabei nur 100 Journalisten befragt wurden, ist ebenfalls Gegenstand der Kritik. Des Weiteren ist keine methodisch vollständig solide Untersuchung der "Schweigenden" belegt. Auch mit den theoretischen Annahmen Noelle-Neumanns waren andere Wissenschaftler unzufrieden. So wird kritisiert, dass Noelle-Neumann von Isolations­furcht als einziger Determinante für die Rede­bereitschaft ausgeht. Weitere Einflüsse wie Persönlichkeits­attribute, Geselligkeit etc. werden nicht einbezogen.

Zusammengefasst ergibt sich, dass die bisher vorliegenden Befunde zur Schweigespirale teils widersprüchlich und bisher nicht konsistent sind. Gleichwohl ist sie in Deutschland, aber auch international Gegenstand zahlreicher empirischer Untersuchungen und theoretischer sowie methodischer Weiter­entwicklungen.[4] Außerdem sind im Bereich der Demokratietheorie, insbesondere bei partizipatorischen Ansätzen wie der deliberativen Demokratie[wp], die einen stärkeren öffentlichen Diskurs fordert, die in der Schweigespirale aufgestellten Kritikpunkte, etwa rund um Aschs[wp] Experimente, relevant.

Kontext mit anderen theoretischen Ansätzen

Third-Person-Effekt

Der Third-Person-Effekt[wp] (dt. Dritte-Personen-Effekt) beschreibt, dass Rezipienten bei Dritten eine stärkere Medienwirkung[wp] annehmen als bei sich selbst. Die amerikanische Kommunikations­wissen­schaftlerin Diana C. Mutz hat die beiden Ansätze zuerst zusammengefügt.[5] Sie geht davon aus, dass eine vermutete größere Medien­wirkung bei Dritten dazu führe, dass Rezipienten einen Einfluss auf die öffentliche Meinung bzw. deren Trend annehmen. Die Massenmedienmeinung wird als Mehrheitsmeinung wahrgenommen. Wenn diese Medien­meinung mit der eigenen Meinung inkongruent ist, kann dies, nach der Theorie der Schweigespirale, eine Schweige­tendenz verstärken. Wenn die Medienmeinung mit der eigenen Meinung kongruent ist, führt dies zu einer erhöhten Rede- bzw. Zeige­bereitschaft. In ihrer Studie kann sie sowohl den Third-Person-Effekt als auch einen Schweige­spiral­effekt nachweisen. Wahrnehmungen von Medien­wirkungen auf Dritte können eine Schweige­tendenz (bei Inkongruenz) bzw. eine Rede- und Zeige­bereitschaft (bei Kongruenz) verursachen.[6]

Geschichte

In Noelle-Neumanns Werk Öffentliche Meinung: Die Entdeckung der Schweigespirale wird besonders mittels geschichtlicher Nach­forschung über Descartes[wp], Rousseau[wp], Hegel[wp], Homer[wp], Platon[wp], David Hume[wp], John Locke[wp], Edmund Burke[wp] und andere Personen der Literatur, Politik und Philosophie der Zusammenhang zwischen der sozialen Natur des Menschen und der Schweigespirale untersucht.

Zitate

Zitat: «Wir haben uns mit einer Kultur arrangiert, die das Lügen entlang der Vorgaben dessen, was politisch korrekt ist, einfordert.
Wir alle halten uns weitgehend daran, auch ich.
Aus Angst um unsere Karrieren, aus Angst, aus der guten "geschwätz­führenden" Gesellschaft ausgeschlossen zu werden, aus Angst, als Sexist, Rassist, Biologist oder sonst was beschimpft zu werden, aus Angst rechts zu sein usw.
Leider gibt es biologische Unterschiede zwischen Ethnien, Geschlechtern, die auch die durchschnittliche (!!!) Leistungs­fähigkeit dieser Gruppen auf diversen Gebieten beeinflussen und für reale Verteilungs­unter­schiede sorgen (im Leistungs­sport, in Mathematik/Informatik, in Sprach­wissen­schaften etc.) jenseits von ebenso realem Rassismus/Sexismus etc., die es wahrhaftig auch gibt, die aber meistens in beide Richtungen wirken, wovon dann nur eine Richtung wahrgenommen und kritisiert werden darf (es gibt nicht nur weißen Rassismus gegenüber Farbigen, sondern auch einen nicht minder starken farbigen Rassimus gegenüber Weißen, es gibt nicht nur männlichen Sexismus gegenüber Frauen, sondern auch weiblichen Sexismus gegenüber Männern usw. - was jeweils kritisiert werden darf, was nicht, ist klar).
Die notwendige Bekämpfung von Rassismus/Sexismus aber darf nicht die Wahrnehmung der Realität verhindern.» - Alexander Roslin[7]
Zitat: «Die meisten Menschen in Deutschland haben Angst, ihre Meinung öffentlich zu äußern. Sie haben Angst, gegen den von selbst ernannten Eliten - also von den Herrschenden - festgelegten Meinungskanon zu verstoßen. Die Mainstream-Medien tragen die Hauptschuld an dieser Misere.» - Alexander Ulfig[8]
Zitat: «Auch im Netz regiert die Schweigespirale: Das Konzept der "Schweigespirale" scheint sich größtenteils in die Online-Welt übertragen zu haben. [...] Wer im richtigen Leben schweigt, der schweigt auch online.» - Tobias Kreutzer[9]
Zitat: «Im wirklichem Leben entspricht das Umfeld eher den eigenen Sitten, also wird die Gegen­meinung mit einer hohen Wahrscheinlichkeit in einer Art, Weise und Weise ausgedrückt, die man ertragen kann. Im Netz ist das nicht so, die Gegen­meinung kommt in Formen daher, die man sich nicht antun will. Für mein Empfinden haben Diskussionen mit echten Menschen eher einen Effekt auf die Meinung als Forendiskussionen. Netzdiskussion birgt die Gefahr der Pöbelei in sich und bringt eher wenig, also warum diskutieren?» - Hannes Mayer[10]
Zitat: «Big Data liest mit ... wer will schon seine zukünftigen Chancen bei Arbeitgebern, bei öffentlichen Ämtern oder bei der Einreise in manche Länder selbst sabotieren, indem er heute unüberlegt seine Meinung zu einem schwierigen Thema im Netz verewigt?» - Gev Wels[11]

Literatur

  • Roland Burkart: Kommunikationswissenschaft. 4. Auflage. Böhlau 2002, ISBN 3-8252-2259-4, S. 262-269
  • Wolfgang Donsbach: Die Theorie der Schweigespirale. In: Michael Schenk: Medienwirkungsforschung. Mohr 1987, ISBN 3-16-545172-9, S. 324-343
  • Dieter Fuchs u. a.: Öffentliche Kommunikationsbereitschaft. Ein Test zentraler Bestandteile der Theorie der Schweigespirale. In: Zeitschrift für Soziologie. 21, Nr. 4, 1992, S. 284-295
  • Denis McQuail: McQuail's Mass Communication Theory. 4. Auflage. Sage 2000, ISBN 1-4129-0372-6
  • Elisabeth Noelle: Öffentliche Meinung und Soziale Kontrolle. Mohr 1966
  • Elisabeth Noelle-Neumann[wp]: Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung - unsere soziale Haut. Langen Müller 1980, ISBN 3-7844-2835-5
  • Elisabeth Noelle-Neumann: Die Theorie der Schweigespirale als Instrument der Medienwirkungsforschung. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. 1989 (Sonderheft), S. 418-440
  • Elisabeth Noelle-Neumann: Öffentliche Meinung: die Entdeckung der Schweigespirale. Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-550-06934-0
  • Elisabeth Noelle-Neumann: Öffentliche Meinung. In: Elisabeth Noelle-Neumann u. a. (Hrsg.): Das Fischer-Lexikon Publizistik, Massenkommunikation. Fischer 2003, ISBN 3-596-15495-2, S. 392-406
  • Thomas Roessing: Öffentliche Meinung - die Erforschung der Schweigespirale. Nomos 2009, ISBN 3-8329-4054-5
  • Helmut Scherer: Massenmedien, Meinungsklima und Einstellung: eine Untersuchung zur Theorie der Schweigespirale. Westdeutscher Verlag 1990, ISBN 3-531-12160-X
  • Hans Zetterberg: Medien. Ideologie und die Schweigespirale. In: Jürgen Wilke (Hrsg.): Öffentliche Meinung. Theorie, Methoden, Befunde. Beiträge zu Ehren von Elisabeth Noelle-Neumann. Freiburg 1992, ISBN 3-495-47742-X, S. 51-75
  • Michael Jäckel: Medienwirkungen. Ein Studienbuch zur Einführung. 4. Auflage. Verlag für Sozialwissenschaften 2007, ISBN 3-531-15391-9
  • Erich Lamp: Die Macht öffentlicher Meinung - und waum wir uns ihr beugen. Über die Schattenseite der menschlichen Natur. Olzog, München 2009, ISBN 3-7892-8321-5

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Donsbach, Robert L. Stevenson: Herausforderungen, Probleme und empirische Evidenzen der Theorie der Schweigespirale. In: Publizistik. Band 31, 1986, S. 7-34.
  2. Elisabeth Noelle-Neumann, Thomas Petersen: The Spiral of Silence and the Social Nature of Man. In: Lynda Lee Kaid (Hrsg.): Handbook of Political Communication. Erlbaum, Mahwah 2004, ISBN 0-8058-3775-2, S. 339-356.
  3. Deisenberg, Anna Maria (1986): Die Schweigespirale - die Rezeption des Modells im In- und Ausland. München: Minerva-Publikation.
  4. Helmut Scherer, Annekaryn Tiele, Teresa Naab: Die Theorie der Schweigespirale: methodische Herausforderungen und empirische Forschungspraxis. In: Werner Wirth, Andreas Fahr, Edmund Lauf (Hrsg.): Anwendungs­felder in der Kommunikations­wissen­schaft. Halem 2006, ISBN 3-931606-54-6 (Forschungs­logik und -design in der Kommunikations­wissen­schaft. Band 2), S. 107-138.
  5. Vgl. Michael Schenk: Medienwirkungsforschung. 3. Auflage. Mohr Siebeck 2007, ISBN 3-16-149240-4, S. 555
  6. Diana C. Mutz: The Influence of Perceptions of Media Influence: Third Person Effects and the Public Expression of Opinions. In: International Journal of Public Opinion Research 1, 1989, S. 2-23.
  7. Alexander Roslin: Kommentar am 1. September 2013 um 17:16 Uhr
  8. Alexander Ulfig: Gegen den propagandistischen Einheitsbrei, Cuncti - Haltbar am 20. September 2014
  9. Tobias Kreutzer: Studie zu sozialen Medien: Auch im Netz regiert die Schweigespirale, FAZ am 26. August 2014 (Eine neue Studie des einflussreichen amerikanischen "Pew Research Center" legt nahe, dass soziale Medien keineswegs im erhofften Maße zur Meinungs­pluralität bei kontrovers diskutierten Themen beitragen.)
  10. Hannes Mayer: Der Gegenwind ist im Netz, Kommentar am 26. August 2014 um 20:42 Uhr
  11. Gev Wels: Big Data liest mit, Kommentar am 26. August 2014 um 19:22 Uhr

Querverweise

Netzverweise

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