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Drei-Drittel-Gesellschaft

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Die Drei-Drittel-Gesellschaft ist ein politisches Schlagwort, das in verschiedenen Bereichen verwendet wird.

Fortschrittsglaube

Hans-Christian Röglin schreibt in Kommunikation und Konflikt: Fallbeispiele aus der Chemie:

Zitat: «Es hat sich in den Köpfen etwas verändert. Wenn noch vor Jahren zwei Drittel unserer Bevölkerung überzeugt war, technischer und wissenschaftlicher Fortschritt sei ein Segen, steht heute nur noch ein Drittel hinter dem Konzept der herkömmlichen Industriegesellschaft[wp]. Wir haben es mit einer "Drei-Drittel-Gesellschaft" zu tun:
  • Etwa ein schwaches Drittel bejaht prinzipiell die gegenwärtige Art des Umgangs mit Technologie und Technik;
  • Ein starkes Drittel ist eher skeptisch, nicht dezidiert ablehnend, aber doch zweifelnd, ob unsere Gesellschaft den richtigen Weg geht;
  • Ein weiteres starkes Drittel lehnt die heutige Verfahrensart entschlossen und protestierend ab.

[...] Die Ängste, aus denen die Vorbehalte von immerhin zwei Dritteln der Bürger erwachsen, werden entweder ignoriert oder in ihrer Bedeutung verkannt. Man kann mit ihnen nichts anfangen, und der Gedanke ist nicht abwegig, dass die Ängste der Bürger - wie auch immer begründet - zu sehr besonderen Ängsten unseres Führungs­personals in Politik, Wirtschaft und Verwaltung führen. Die Politiker haben Angst vor den Wählern, die leitenden Beamten haben Angst vor den Politikern, die Unternehmer haben Angst vor den Beamten und ihrer Bürokratie. Alle haben Angst vor den Medien, und die Medien haben Angst, dass ihnen Leser oder Zuschauer davonlaufen. Gemeinsam ist ihnen nur die Überzeugung, die Deutschen seien ein besonders ängstliches Volk.

Diese Fehldeutungen haben Konsequenzen. Man will den Bürger nicht noch ängstlicher machen, als er ohnehin schon ist. Er soll sich nicht aufregen. Man selbst möchte sich auch Aufregungen ersparen, und so wächst die Neigung, zögerlich und zurück­haltend zu informieren. Damit wird der Glaub­würdigkeit ein weiterer Schlag versetzt.» - Hans-Christian Röglin[1]

Politische Unentschiedenheit

Die von Hans-Christian Röglin beschriebene Drei­teilung der Gesellschaft lässt sich auf viele politische Bereiche übertragen. Bei vielen politisch wichtigen Entscheidungen gibt es in der Bevölkerung jeweils ein ungefähres Drittel gesicherter Befürworter und Ablehnende. Das verbleibende Drittel ist wankel­mütig und unentschlossen. Mit Propaganda und entsprechender Beeinflussung kann dieses Drittel sowohl in das eine oder andere Lager gezogen werden. Politisch stabile Mehrheiten entstehen dabei nicht. Je nach tages­politischer Informations- und Gefühls­lage können Mehrheiten schnell wieder kippen. Das ist ein gravierender Nachteil bei von Teilen der Bevölkerung geforderten Bürger­entscheiden[wp]. Abstimmungen gehen recht zufällig mit rund 55% Pro oder Contra aus. Die politische Drei­teilung der Gesellschaft führt zu einer Art politischem Patt. Ein Bürger­entscheid bildet bei einer Drei-Drittel-Verteilung nicht die gesellschaftliche Realität ab und führt nur vermeintlich zu einer politischen Klärung.

Soziale Drei-Drittel-Gesellschaft

Die Erhebung "Gesellschaft im Reformprozess" der TNS Infratest[wp] Sozialforschung Berlin im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung kam 2006 zu neun "politischen Typen" nach ihren politischen Werte­vorstellungen und Einstellungen:

Politische Milieus - Infratest 2006.png
  • Die Leistungsindividualisten (11 % Anteil an der Wahl­bevölkerung) sind Gegner staatlicher Eingriffe und wollen eine Gesellschaft, die sich in erster Linie am Leistungsprinzip orientiert. Zwei Drittel sind männlich. Politisch bevorzugen sie das bürgerliche Lager und über­durch­schnittlich die FDP.
  • Die Etablierten Leistungsträger (15%) repräsentieren vor allem das klein­städtische gehobene (liberal-)konservative Milieu. Sie sind stark leistungs­orientiert, elite­bewusst und haben eine über­durch­schnittliche Bindung an die Union.
  • Die Kritischen Bildungseliten (9%) stellen die politisch am weitesten links stehende, jüngste und zugleich qualifizierteste Gruppe dar. Die Kritischen Bildungs­eliten haben den höchsten Anteil partei- und gesellschafts­politisch Aktiver. Über vier Fünftel von ihnen wählen eine der drei linken Parteien, die gegenwärtig im Deutschen Bundestag vertreten sind.
  • Das Engagierte Bürgertum (10%) ist ein weiteres, wenn auch stärker bürgerliches rot-grünes Kernmilieu. Frauen sowie qualifizierte Beschäftigte im öffentlichen Dienst sowie sozio-kulturelle Berufe sind stark über­durch­schnittlich vertreten. Von allen Typen wird die SPD vom Engagierten Bürgertum am besten bewertet.
  • Die Zufriedenen Aufsteiger (13%) stehen für eine leistungs­orientierte moderne Arbeit­nehmer­mitte. Sie kommen überwiegend aus einfacheren Verhältnissen, nehmen aber nun durch ihren eigenen Aufstieg eine Position in der gesell­schaft­lichen Mitte ein. Politisch neigen sie über­proportional zur Union, ein gutes Drittel tendiert aber auch zur SPD.
  • Die Bedrohte Arbeitnehmermitte (16%) repräsentiert die vor allem (klein-)städtische und stärker industriell geprägte Arbeit­nehmer­schaft. Hinsichtlich der Parteipräferenz ist eine starke SPD-Orientierung festzustellen, allerdings gibt es auch eine Offenheit für die Union und zunehmend (aus Enttäuschung über die SPD) für die Linkspartei.
  • Die Selbstgenügsamen Traditionalisten (11%) sind von allen Gruppen am stärksten auf die beiden Volks­parteien ausgerichtet. Sie sind stark an Konventionen orientiert und wollen einen regulierenden Staat. Der Politik wird wenig Vertrauen entgegen­gebracht, auch, weil viele Prozesse nicht mehr verstanden werden.
  • Die Autoritätsorientierten Gering­qualifizierten (7%) sind die am stärksten autoritär-ethno­zentristisch eingestellte Gruppe. Aus meist einfachen Verhältnissen kommend, wurde ein "Aufstieg im Kleinen" erreicht. Ihre über­durch­schnittliche Zustimmung zur SPD geht einher mit einer fundamentalistischen Ablehnung der Grünen und ihrer politischen Vorstellungen
  • Das Abgehängte Prekariat (8%) ist geprägt von sozialem Ausschluss und Abstiegs­erfahrungen. Diese Gruppe hat einen hohen Anteil berufs­aktiver Alters­gruppen, weist den höchsten Anteil an Arbeitslosen auf und ist zugleich ein stark ostdeutsch und männlich dominierter Typ. Mit der Großen Koalition sind sie in hohem Maße unzufrieden. Nichtwähler sind ebenso über­proportional vertreten wie Wähler der Linkspartei und rechts­extremer Parteien.
Drei-Drittel-Gesellschaft - Infratest 2006.png

Alles in allem zeigt sich das Bild einer Drei-Drittel-Gesellschaft. Die Menschen im "oberen" Drittel haben recht gesicherte Chancen und Lebens­perspektiven. Allerdings ist dieses Drittel politisch gespalten zwischen eher links­liberalen (Kritische Bildungs­eliten, Engagiertes Bürgertum) und liberal­konservativen (Leistungs­individualisten, Etablierte Leistungs­träger) Gruppen. In der "Mitte" der Gesellschaft ist die Verunsicherung längst angekommen. Je nachdem wie die eigenen Chancen aussehen und die politischen Orientierungen sind, stehen die Gruppen dem Wandel aufgeschlossen (Zufriedene Aufsteiger) oder skeptischer (Bedrohte Arbeit­nehmer­mitte) gegenüber. Im "unteren" Bereich (Selbst­genügsame Traditionalisten, Autoritäts­orientierte Gering­qualifizierte) wächst die Unzufriedenheit mit den gesell­schaft­lichen Realitäten und der Politik sowie das Risiko der sozialen und politischen Abkopplung (Abgehängtes Prekariat). In allen drei Dritteln gilt jedoch, dass bestimmte Grundwerte wie "soziale Gerechtigkeit" besonders wichtig sind. Die (nicht einfache) strategische Herausforderung liegt darin, die solidarischen Gruppen im oberen Teil der Gesellschaft, die verunsicherte Arbeit­nehmer­mitte und die erreichbaren Gruppen im unteren Bereich politisch zu integrieren.[2]

Konfessionelle Drei-Drittel-Gesellschaft

Konfessionell ist das vereinte Deutschland eine Drei-Drittel-Gesellschaft, ein Drittel sind Katholiken, ein Drittel Protestanten, ein Drittel sind konfessionslos oder gehören einer anderen Konfession an; regional muss mit Blick auf Ostdeutschland von einer Zwei-Drittel-Gesellschaft der Konfessionslosen gesprochen werden.[3]

Einzelnachweise

  1. Ortwin Renn und Jürgen Hampel (Hrsg.): Kommunikation und Konflikt: Fallbeispiele aus der Chemie, Königshausen und Neumann 1998, ISBN 3-8260-1407-3, S. 54
  2. Pdf-icon-extern.svg Gesellschaft im Reformprozess. Die Friedrich-Ebert-Stiftung untersucht Reformbereitschaft der Deutschen[ext] - Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Juli 2006 (94 Seiten)
  3. Pdf-icon-extern.svg Kontinuität der Grundsätze bei gleichzeitiger Modernisierung der Parteiarbeit gewährleisten eine stabilisierende Reform. Die CDU nach den Wahlen 1998 und 1999.[ext] - Hans-Joachim Veen, in: Die politische Meinung, Nr. 363/Februar 2000 (Seite 16)

Querverweise

Netzverweise