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Materialismus

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Der Begriff Materialismus bezeichnet in der Philosophie eine auf der axiomatischen Prämisse der ausschließlichen oder vorrangigen Existenz der materiellen Welt als Grund und Substanz des Seins basierende Richtung der Philosophie. In der Soziologie hingegen eine Lebens­einstellung, die auf der ausschließlichen Wertschätzung materieller Güter und dem Streben nach ihrem Erwerb ausgerichtet ist.

Zitat: «Dies ist die Nahrung der Lüge unserer Zeit: des Materialismus. Die geistgelenkte Hand des Menschen verwandelt die Erde in ein Abbild seines Geistes.

Ein Geist, der meint, die Welt sei nichts anderes als ein physikalisch-chemisches System, verwandelt die Erde - die Heimat des Lebens - in ein aus­schließlich physikalisch-chemisches System: in eine tote Welt.» - Max Thürkauf[1]

Zitat: «Die Unwissenheit der Materialisten wurzelt in der Leugnung Gottes. Oder, was noch schlimmer ist: Für viele Menschen ist Gott so gleichgültig geworden, dass sie es nicht einmal mehr der Mühe wert halten, ihn zu leugnen. Warum soll jemand, der den Schöpfer nicht achtet, Ehrfurcht vor den Geschöpfen haben? Für ihn sind die Geschöpfe Gegenstände beliebigen Handelns.

[...] Die Geschöpfe können nach Belieben und Gutdünken manipuliert und zerlegt werden. Die Zerlegung durch die Molekular­biologen ist bis ins Innerste der Geschöpfe vorgedrungen: in die Zellkerne der Lebewesen. Die Gene werden zerlegt und nach Belieben wieder zusammen­gesetzt. Nicht mehr durch Auswahl und Kreuzung der Ganzheit wird gezüchtet, sondern durch Zerlegung der Erbsubstanz und deren Manipulation[2]

Materialismusstreit

Der Materialismusstreit war eine in der Mitte des 19. Jahrhunderts geführte Kontroverse um die weltanschaulichen[wp] Konsequenzen der Naturwissenschaften. Beeinflusst durch die methodologische[wp] Erneuerung der Biologie und den Niedergang der idealistischen Philosophie[wp] wurde in den 1840er Jahren ein Materialismus formuliert, der den Menschen naturwissenschaftlich zu erklären beanspruchte. Im Zentrum der Kontroversen stand die Frage, ob die Ergebnisse der Naturwissenschaften mit dem Konzept einer immateriellen Seele[wp], eines personalen Gottes[wp] und eines freien Willens[wp] vereinbar sind. Zudem konzentrierte sich die Debatte auf die erkenntnis­theoretischen[wp] Voraussetzungen einer materialistischen Weltanschauung.[3]

Der Physiologe Rudolf Wagner[wp] griff 1854 in einer Rede vor der Göttinger Naturforscher­versammlung kritisch ein polemisches Bekenntnis zum Materialismus des Zoologen Carl Vogt[wp] auf. Wagner argumentierte, dass der christliche Glauben und die Naturforschung zwei voneinander weitgehend unabhängige Sphären bildeten. Die Naturwissenschaften könnten daher nichts zu den Fragen nach der Existenz Gottes, der immateriellen Seele oder des freien Willens beitragen.

Zitat: «Man darf es nicht immer hingehen lassen, wenn dies frivole Gesindel die Nation um die theuersten von unseren Vätern ererbten Güter betrügen will und schamlos aus dem gährenden Inhalte seiner Eingeweide den stinkenden Athem dem Volke entgegenbläst und diesem weiss machen will, es sei eitel Wohlgeruch.»[4]

Wagner warf im Sommer 1854 auf der 31. Naturforscherversammlung in seinem Vortrag über Menschenschöpfung und Seelensubstanz den Materialisten vor, durch die Leugnung der Willensfreiheit[wp] die sittlichen Grundlagen der gesellschaftlichen Ordnung zu untergraben.

Zitat: «Wir, die wir hier versammelt sind, wie verschieden sich auch in jedem Einzelnen von uns unsere Weltanschauung gestaltet haben mag, wir, die wir das Ringen unserer Nation in seinen letzten Kämpfen mitgesehen, mitgefühlt, zum großen Theile selbsttheilnehmend mit durchgemacht haben, wir haben uns auch die Frage nahezulegen, welches werden die Resultate unserer Forschung für die Bildung und die Zukunft unsres großen Volkes sein.»[5]

Der Materialismus Vogts stehe der moralischen Verantwortung des Forschers entgegen, da er aus dem Menschen blinde und unverantwortliche Maschinen mache. Nach Wagner bilden Wissen und Glauben weitgehend unabhängige Bereiche, kein natur­wissen­schaft­liches Wissen könne den religiösen Glauben folglich beweisen oder widerlegen.

Carl Vogt hatte in seinen 1851 publizierten Untersuchungen über Thierstaaten die Zoologie[wp] mit einer bitteren Abrechnung mit den deutschen Verhältnissen verknüpft. Politisch war das Buch ein Plädoyer für den Anarchismus[wp], "jede Staatsform, jedes Gesetz [ist] ein Zeichen der mangelnden Vollendung unseres Naturzustandes".[6] Vogts biologistische Argumentation für den Anarchismus beruhte auf der Überzeugung, dass Tier- und Menschen­staaten in Kontinuität zueinander stünden, da auch Menschen natürliche und vollständig materielle Organismen seien. Nach Ansicht Vogts implizierte die Biologie gleichermaßen den Materialismus und die Subversion[wp] der herrschenden Ordnung.

Zitat: «So wäre dem einfachen Materialismus Thür und Tor geöffnet - der Mensch so gut wie das Thier nur eine Maschine, sein Denken das Resultat einer bestimmten Organisation - der freie Wille demnach aufgehoben? [...] Wahrlich, so ist's. Es ist wirklich so.»[7]

1977 erschien die Monographie Scientific Materialism in Nineteenth Century Germany des amerikanischen Wissenschafts­historikers Frederick Gregory, die bis heute als Standardwerk gilt. Nach Gregory ist die Bedeutung Vogts, Moleschotts und Büchners weniger in ihrer spezifischen Ausarbeitung des Materialismus zu suchen. Entscheidender sei die gesellschaftliche Wirkung ihrer naturwissenschaftlich motivierten Kritik an Religion, Philosophie[wp] und Politik gewesen.

Zitat: «Das herausragende Merkmal des wissenschaftlichen Materialisten war aus historischer Perspektive nicht ihr Materialismus, sondern ihr Atheismus[wp] oder angemessener ihre humanistische Religion.» - Frederick Gregory[8]

Gregorys Urteil entsprechend wird in der gegenwärtigen Forschungs­literatur die Bedeutung der Materialisten im Säkularisierungsprozess des 19. Jahrhunderts allgemein anerkannt, während ihre philosophischen Positionen zum Teil weiter heftiger Kritik ausgesetzt sind.[9]

Literatur

  • Max Thürkauf: Technomanie - Die Todeskrankheit des Materialismus. Ursachen und Konsequenzen der technischen Masslosigkeit unserer Zeit. Novalis (1978) ISBN 3-7214-0048-8 (2. Auflage 1980)

Einzelnachweise

  1. Max Thürkauf: Die Gottesanbeterin - Zwei Naturwissenschaftler auf der Suche nach Gott., Christiana-Verlag
  2. Max Thürkauf: Christuswärts - Glaubenshilfe gegen den naturwissenschaftlichen Atheismus., Christiana-Verlag
  3. Wikipedia: Materialismusstreit
  4. Rudolf Wagner[wp]: Ueber Wissen und Glauben, Wigand 1854, S. IV.
  5. Rudolf Wagner: Menschenschöpfung und Seelensubstanz, S. 25
  6. Carl Vogt[wp]: Untersuchungen über Thierstaaten, Literarische Anstalt, Frankfurt a.M. 1851, S. 23
  7. Carl Vogt: Bilder aus dem Thierleben, Literarische Anstalt 1852, S. IX
  8. Frederick Gregory: Scientific Materialism in Nineteenth Century Germany, 1977, S. 213
  9. Wikipedia: Materialismusstreit - Rezeption im 20. Jahrhundert

Netzverweise


Dieser Artikel basiert im Kapitel Materialismusstreit auszugsweise auf dem Artikel Materialismusstreit (5. November 2015) aus der freien Enzyklopädie Wikipedia. Der Wikipedia-Artikel steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported (CC BY-SA 3.0). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar, die vor Übernahme in WikiMANNia am Text mitgearbeitet haben.