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Bedarfsgemeinschaft

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Der Begriff Bedarfsgemeinschaft stammt aus dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II), worin es um die Grundsicherung für Arbeitssuchende geht. Dem Konstrukt liegt die politische Entscheidung zu Grunde, dass Personen, die besondere persönliche oder verwandtschaftliche Beziehungen zueinander haben und die in einem gemeinsamen Haushalt leben, sich in Notlagen gegenseitig materiell unterstützen und ihren Lebensunterhaltsbedarf gemeinsam decken sollen. Dabei gilt die Regel, dass die gewährte Grundsicherung, die Bedarfe zur Führung eines menschenwürdigen und existenzgesicherten Lebens decken soll, "gegenüber anderen Hilfen" nachrangig sein soll. Daraus ergibt sich die Praxis, dass der Staat partnerschaftliche Solidarität fordert und sich nicht einschaltet, solange Partner sich selbst helfen können. "Ehegatten- und Partner­subsidiarität bezeichnet den Vorrang der Solidarität unter Partnern vor sozialstaatlicher Hilfe."

So oder ähnlich steht es in der WikiPrawda. Nicht erwähnt wird, dass damit die "Notgemeinschaft" der Weimarer Republik und des Dritten Reiches wieder auflebt. Und die Frage bleibt: Was ist eine "Partnersubsidiarität"?

Verstaatlichung der Lebensverhältnisse

Zunächst sei der Begriff Subsidiarität geklärt: Das Subsidiaritäts­prinzip gibt der kleinen Ordnungs­macht den Vorrang vor der größeren und sichert dadurch die Republikanität des Gemeinwesens, nämlich die Freiheit durch die vielfältige Teilung, aber auch die größt­mögliche Nähe der Ordnungsgewalt zur Ordnungs­aufgabe. Es spielt sich hier eindeutig der Staat zur Ordnungsmacht auf, der Familien­verhältnisse rechtlich ordnet. Karl Albrecht Schachtschneider weist darauf hin: "Die Verrechtlichung ist Verstaatlichung der Familien­verhältnisse und Auflösung der Familie in einzelne Rechts­verhältnisse." Das Leben der Familie ist entgegen der wesensmäßigen Privatheit derselben weitest­gehend verstaatlicht. Die Staatlichkeit besteht darin, dass die Handlungs­maximen gesetzlich bestimmt sind, auch wenn sie von privaten Personen vollzogen werden.[1] Der Staat beschränkt sich nun aber nicht darauf, nur Familien rechtlich ordnen zu wollen, er weitet dies explizit auch auf nicht­eheliche Lebens­verhältnisse aus.

Es versteht sich von selbst, dass Ehegatten einander zur ehelichen Solidarität verpflichtet sind und füreinander Verantwortung tragen. Das ergibt sich direkt aus dem Wesen der Ehe. Was aber meint "Partner­subsidiarität"? In der Wirtschaft hat man üblicherweise Geschäftspartner. Müssen Geschäfts­partner "füreinander einstehen"? Das heißt, wenn der eine zahlungs­unfähig wird, haftet der andere?!?? Würde das Realität, bräche die Wirtschaft zusammen. Kein Geschäftsmann könnte mehr Geschäfts­beziehungen pflegen, die Risiken wären viel zu hoch, wenn man jeweils für den anderen haften müsste. Die gegenseitige Haftung ist in der Wirtschaft vornehmlich Gegenstand von Verträgen, die Geschäfts­partner untereinander eingehen und das ist nicht Aufgabe des Staates. Der Staat hat nur zu garantieren, dass geschlossene Verträge gültig sind.

Bezogen auf die Familie muss an dieser Stelle erinnert werden, dass auch die Familie eine Wirtschafts­gemeinschaft ist. Der Vertrag ist dort die Ehe bzw. der Ehevertrag. Es steht dem Staat nicht zu, Unverheiratete unter die Regeln der Ehe zu zwingen. Das widerspricht dem Grundsatz der Vertragsfreiheit. Es ist aber auch für eine vitale Gesellschaft notwendig, die Familie als eine wirtschaftliche denkende und handelnde Einheit zu verstehen und eben nicht nur als Konsum­gemeinschaft oder als Bedarfs­gemeinschaft mit Anspruch auf staatliche Sozial­leistungen, sprich Alimentierung auf Kosten der Allgemeinheit.

Die Beweislastumkehr

Der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird nach § 7 Absatz 3a (SGB II) wird vermutet, wenn Menschen

  • länger als ein Jahr zusammenleben,
  • mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
  • Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
  • befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.[2]

Die Vermutung bewirkt eine Beweislastumkehr und damit eine Abweichung vom Amtsermittlungsprinzip nach § 20 (SGB X).[3] Nicht die Behörde muss die Verantwortungs- und Einstehens­gemein­schaft beweisen, sondern die Antragsteller müssen beweisen, dass sie keine Einstehens­gemein­schaft sind. Diese Umkehrung der Beweislast wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2007 durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grund­sicherung für Arbeits­suchende als Reaktion auf die Schwierigkeiten der Behörden mit dem Beweis einer "eheähnlichen Gemein­schaften", eingeführt. Der Begriff "Eheähnliche Gemeinschaft" wurde gleichzeitig durch die Bezeichnung "Verantwortungs- und Ein­stehens­gemein­schaft" ersetzt und der Tatsbestand damit auf gleichgeschlechtliche Partner­schaften ausgeweitet. Die Verfassungs­mäßigkeit dieser Regelung ist umstritten und ungeklärt.

Soweit wieder WikiPrawda. Es ist schon bemerkenswert, dass dort der Tatbestand der staatlichen Zwangs­verheiratung als "verfassungsmäß umstritten" beschrieben wird. Aber der Sachverhalt wird nicht ausreichend klar, weil das Wesen von Ehe und Familie nicht dargestellt ist. Mit der Verunklarung der Begriffe Ehe und Familie wird der Sachverhalt vernebelt. Der Begriff "Verantwortungs- und Einstehens­gemein­schaft" ist ein Euphemismus für den Begriff "Eheähnliche Gemein­schaften". Damit wird verschleiert was im Begriff "Eheähnliche Gemein­schaften" noch erkennbar war, dass die Verantwortung unter Ehegatten willkührlich auf nicht­verheiratete Personen ausgeweitet wird. Im § 1353 BGB (Eheliche Lebensgemeinschaft) heißt es im Absatz 1: "Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebens­gemein­schaft verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung." Das stellt also den hilflosen Versuch des Sozialgesetzgebers dar, den sozialen Kitt der Gesellschaft mit bürokratischer Gewalt wieder­her­zustellen, den man mit der Zerstörung der Familien gerade selbst abgeschafft hat. Am Konstrukt Bedarfs­gemein­schaft lässt sich also sehr deutlich demonstrieren, wie in der deutschen Gesellschaft die Familie durch staatliche Bürokratie und staatliche Zwangsmaßnahmen ersetzt wird.

Zu der Ausweitung der ehelichen Solidarität und Verantwortung, die für sich genommen schon ohne Rechtsgrundlage (Vertrag!) ist, kommt mit der Beweislast­umkehr noch eine Abkehr von rechts­staatlichen Grundsätzen. Das ist genau genommen nicht nur verfassungs­rechtlich bedenklich, sondern schon offener Verfassungsbruch. Nur durch die Verunklarung der Begriffe Ehe und Familie ist es überhaupt möglich, keinen direkten Verstoß gegen Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes zu erkennen. Der grundlegende Vertrag zwischen Familien und Staat geht nämlich so: "Wir, die Familien, erwirtschaften die Ressourcen für Deine Existenz und sorgen auch für unser eigenes Auskommen (und nehmen nicht etwa den Staat in die Pflicht), und Du, Staat, hälst Dich im Gegenzug aus unseren Angelegenheiten raus." Artikel 6 Absatz 1 GG gehört nämlich zu den Grundrechten, die Abwehrrechte der Bürger gegenüber dem Staat festschreiben. Der Staat versucht also nichts anderes, als die Bürger weiterhin in die Pflicht zu nehmen, ohne sich an seinen Teil der Abmachung zu halten: Der Nichteinmischung in die privaten Angelegenheiten seiner Bürger.

Staatlicher Durchgriff auf private Vermögen

Das Prinzip ist immer dasselbe, Einkommen durch Leistung führt zum gnadenlosen Durchgriff und Sippenhaft auf dieses Einkommen. Da pfeife ich doch auf die mühsame Erwirtschaftung und lasse andere zahlen. [4]

Eine Heirat mit einer einkommens­starken, vermögenden Frau verbietet sich auch dann, wenn die eigenen Eltern in ein Pflegeheim müssen. Durch die Heirat ist man plötzlich selbst gutverdienend und vermögend und kann dem Sozialamt die Pflegekosten erstatten (Stichwort: Eltern­unterhalt, Schwieger­kinder­haftung). Eventuell erhöht sich auch der Kindesunterhalt für das Kind aus der früheren Beziehung. Ich gehöre also zur "Sandwich-Generation" (Unterhalt zahlen, oben und unten).[5]

Praxistipps

Die Vermutung von regelmäßigen Geldzahlungen ihrer Verwandten können Betroffene allerdings durch folgende Erklärung entkräften: "Der/Die bei bei mir/uns lebende XY unterstützt mich/uns nicht."

ALG-II-Bezieher sind keineswegs verpflichtet, der Arbeits­verwaltung Angaben über Einkommen und Vermögen der bei ihnen lebenden Verwandten und Verschwägerten vorzulegen.

Wenn Leute, die nicht miteinander verwandt sind, zusammen­leben und auch keine eheähnliche Gemeinschaft bilden, dann ist das rechtlich eine Wohn­gemein­schaft. Jedes Mitglied bildet eine eigne Bedarfs­gemeinschaft und kann allein einen Antrag auf ALG II stellen. Das Einkommen und Vermögen der Mitbewohner spielt dabei keine Rolle.[6]

Wer der "Vermutung" des Arbeitslosen­amtes widerspricht, hat gute Chancen Recht zu bekommen. Im Klageverfahren vor den Sozial­gerichten bekommt er auf jeden Fall Recht.

Tacheles e.V.

Weitere Tipps und Informationen zum Umgang mit der ARGE bietet der Leitfaden von Tacheles e.V.[7]

  • Pdf-icon-extern.svg Leitfaden Bedarfsgemeinschaft[ext] - Tacheles e.V.
  • Pdf-icon-extern.svg Leitfaden Eheähnliche Gemeinschaft[ext] - Tacheles e.V.

Die Familie und ihre Zerstörer

Die Kritik

Die Kritik zu der Verstaatlichung der Lebensverhältnisse beziehungsweise der Einmischung des Staates in die Privat­angelegenheiten seiner Bürger ist sehr leise, zu leise. Ursächlich dafür ist wohl, dass der Abbau von Bürgerrechten, die staatliche Bevormundung und die Einmischung des Staates in Privat­angelegenheiten schrittweise von statten geht. Aber hin und wieder wird doch Kritik laut.

Das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland kritisiert in einem Thesenpapier, dass die Schlechterstellung von Bedarfsgemeinschaften gegenüber Einzelpersonen die Solidarität in gelebten Sozialbeziehungen untergrabe und stellt fest: "Die Kriterien zur Definition einer Bedarfsgemeinschaft für nichtgebundene Lebensgemeinschaften widersprechen der in Artikel 2 des Grundgesetzes geschützten Handlungsfreiheit und Privatautonomie". Insgesamt stelle der durch die Bedarfsgemeinschaft entstehende faktische Zwang zu gegenseitiger Hilfe einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit dar.[8]

Der Ökonom Hans-Werner Sinn kritisierte die Bedarfsgewichtung bei der Armutsstatistik ebenso wie die Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft, welche bewirke, dass das Arbeitslosengeld II einen starken ökonomischen Anreiz zum Getrenntleben biete. Die staatliche Unterstützung nehme so "den Charakter einer Trennungsprämie an".[9]

Einzelnachweise

  1. Pdf-icon-intern.svg Rechtsproblem Familie - Karl Albrecht Schachtschneider, S. 31/32
  2. Bundesministerium der Justiz: § 7 SGB II
  3. Bundesministerium der Justiz: § 20 SGB X
  4. TrennungsFAQ-ForumÄnderung des Unterhaltsrechts zum 1.03.2013, P am 14. Dezember 2012 - 12:52 Uhr
  5. TrennungsFAQ-Forum: Änderung des Unterhaltsrechts zum 1.03.2013, borni am 13. Dezember 2012 - 20:11 Uhr
  6. Was ist eine Bedarfsgemeinschaft?
  7. Leitfaden ALG II / Sozialhilfe von A-Z, herausgegeben von Tacheles e.V., ISBN 978-3-932246-78-4, 10,- Euro
  8. Pdf-icon-extern.svg Zehn Thesen zur Fortentwickling der Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)[ext] - Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland, 18. Mai 2006
  9. Hans-Werner Sinn über den Armutsbericht: Bedarfsgewichteter Käse, Wirtschaftswoche am 26. Mai 2008, Nr. 22, S. 48-49

Netzverweise

Dies ist ein als lesenswert ausgezeichneter Artikel.
Dieser Artikel wurde am 2. Dezember 2010 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen.