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Estland

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Estland (estnisch Eesti, amtlich Republik Estland, estnisch Eesti Vabariik) ist ein baltischer Staat und Mitglied der EU und des Kriegsbündnisses NATO. Die Hauptstadt und größte Stadt Estlands ist Tallinn[wp], das frühere Reval; die zweitgrößte Stadt ist Tartu[wp].

Geschichte

Farbige Graphikkarte des Baltikums aus dem Mittelalter mit seinen angrenzenden Ländern. Alle Bistümer und Bischofssitze sind farblich oder mit einem Kreuz markiert. Auch wichtige Schlachten in und um das Baltikum sind mit zwei sich kreuzenden Schwertern und der Jahreszahl markiert.
Livländische Konföderation[wp]
Russisch-deutsche Karte (1820)

Das heutige Estland besteht aus der ehemaligen, von 1710 bis 1918 zum Russischen Reich gehörigen Ostseeprovinz Gouvernement Estland[wp] und dem nördlichen Teil Livlands[wp], zu dem auch die Insel Saaremaa[wp] (Ösel) gehörte.

Deutscher Einfluss

Die mit dem Deutschen Orden[wp] ins Land gekommenen Vasallen[wp] hatten sich 1252 erstmals zu einer autonomen Landesverwaltung zusammen­geschlossen, die durch das bis 1346 Nordestland beherrschende Dänemark bestätigt wurde. Nach dem Ende der Herrschaft des Ordens 1561 nahmen die hanseatischen[wp] Städte und die Ritterschaften auf dem Land die öffentlich-rechtlichen Selbst­verwaltungs­aufgaben wahr. Diese Landes­privilegien, eine Art Autonomie­statut, wurden von der schwedischen Oberherrschaft bestätigt und blieben auch nach der russischen Eroberung Estlands im Großen Nordischen Krieg[wp] (1710) unberührt.

Die Oberschicht der Stadtbürger und Gutsbesitzer war deutsch­sprachig, bis 1885 war Deutsch Unterrichts- und Behörden­sprache. Aufgrund einer Russifizierungs­kampagne[wp] der zaristischen Regierung[wp] löste Russisch Deutsch in dieser Funktion ab.

Erste Unabhängigkeit

Eine zentrale Rolle spielte bei der Entwicklung der eigenen kulturellen und politischen Identität die Universität Tartu[wp] (Dorpat), auf der seit den 1870er Jahren die estnischen Studenten sich bewusst nicht mehr über die Mitgliedschaft in den Korporationen[wp] assimilieren wollten, sondern vor allem im Verein Studierender Esten[wp] ihre ethno-kulturelle Identität förderten. Während des Zerfalls des Russischen Reiches[wp] im Verlauf der Oktober­revolution[wp] erlangte Estland am 24. Februar 1918 seine Unabhängigkeit. Im Frieden von Dorpat[wp] vom 2. Februar 1920 wurde die staatliche Unabhängigkeit und Souveränität Estland von der Sowjetunion[wp] anerkannt. Die Verteidigung gegen den Bolschewismus[wp] blieb innenpolitisch bestimmend. In den Folgejahren konstituierte sich der estnische Freiheits­kämpfer­bund, welcher auf eine Verfassungsreform im faschistischen Sinne drängte.[1]

1921 wurde Estland Mitglied des Völkerbundes[wp]. 1922 schlossen Polen, Estland, Lettland und Finnland einen Nichtangriffs- und Konsultativpakt zum Schutz vor der Sowjetunion. Am 1. November 1923 wurde ein Bündnis mit Lettland geschlossen.[2] Am 1. Dezember 1924 wurde ein bolschewistischer Putsch in Reval niedergeschlagen.[3]

1939 schloss Estland (wie Lettland) einen Nichtangriffspakt mit dem Deutschen Reich.[4] In den Jahren 1939 bis 1940 wurden die Baltendeutschen wegen einer einschlägigen Bestimmung im Geheimabkommen zum Hitler-Stalin-Pakt[wp], in welchem die Zuordnung des Baltikum zur sowjetischen Interessensphäre vereinbart wurde, im Rahmen einer vom national­sozialistischen Regime initiierten und organisierten Kampagne aus Estland und Lettland unter dem Motto Heim ins Reich[wp] ins Deutsche Reich[wp] umgesiedelt.

Sowjetrepublik

Estland wurde 1940 zusammen mit Lettland und Litauen von der Sowjetunion[wp] gemäß der im deutsch-sowjetischen Nicht­angriffs­pakt[wp] festgelegten Bestimmungen besetzt und annektiert. Nach sowjetischer Lesart traten die baltischen Staaten der UdSSR bei, allerdings bestand über die ganze Periode der Zugehörigkeit Estlands zur UdSSR eine estnische Exilregierung, deren Kontinuität auch in der heutigen offiziellen Interpretation der Geschichte Estlands anerkannt wird. Auch international wurde die Annexion[wp] bis zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit überwiegend nicht anerkannt. Die Estnische Sozialistische Sowjetrepublik[wp] wurde mit Unterstützung von sowjetischen Emissären proklamiert, nachdem Estland zuvor bereits sowjetische Truppen auf seinem Territorium hatte dulden müssen.

1940/41 fanden Ermordungen und Massen­deportationen[wp] von Esten an, besonders aus dem Besitz- und Bildungs­bürgertum[wp], in das Innere der Sowjetunion, von denen ein großer Teil in den Straflagern des Gulag[wp] ums Leben kam. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion[wp] 1941 war das Land bis 1944 von deutschen Truppen besetzt und wurde verwaltungs­technisch dem Reichskommissariat Ostland[wp] zugeordnet. In dieser Zeit wurde der national­sozialistische Völkermord[wp] an den Juden auch in Estland, teilweise unter aktiver Beteiligung einheimischer Kollaborateure, unter anderem als Wachpersonal im Konzentrations­lager Vaivara[wp], verübt. Etwa 1.000 estnische und 10.000 ost- und mittel­europäische Juden wurden ermordet oder kamen in Folge der brutalen Haft- und Arbeits­bedingungen ums Leben.

Aufgrund der Erfahrungen mit den sowjetischen Besatzern schlossen sich viele Esten den deutschen Truppen an oder kämpften in der estnischen Division[wp] der Waffen-SS[wp], ebenso kämpften Esten auf sowjetischer Seite. Zehntausende Esten flüchteten 1944 nach Deutschland (von dort aus später in die USA und nach Australien), nicht wenige auch nach Schweden und Finnland.

Nach der erneuten Besetzung durch die Rote Armee[wp] im Herbst 1944 wurde das Land unter Wieder­herstellung der Estnischen Sozialistischen Sowjetrepublik von 1940/41 in die Sowjetunion eingegliedert. Es folgten erneut Deportationen von vermeintlichen oder tatsächlichen Opponenten des sowjetischen Systems und Repressiv­maßnahmen gegen so genannte Volksfeinde[wp].[5] Auch einfache Menschen wie Säuglinge, Kinder und gebrechliche alte Weiber wurden deportiert, da die Sowjets das estnische National­bewusstsein und darum auch die traditionellen Strukturen vernichten wollten.[6]

Während des Zweiten Weltkrieges verließen die Angehörigen der schwedisch­sprachigen Minderheit, die vor allem auf den Inseln Hiiumaa[wp] (Dagö), Vormsi[wp] (Worms) und Ruhnu[wp] (Runö) ansässig gewesen sind, das Land. Bis dahin hatte sich ihr Estland­schwedisch[wp], das mit dem Finnland­schwedischen[wp] zu den ostschwedischen Dialekten zählt, bewahrt.

In der Zeit von 1945 bis 1990 wurde durch die staatlich dirigierte Ansiedlung fremdvölkischer Sowjetbürger, insbesondere von Russen, die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung zu Ungunsten des Anteils der Angehörigen der Titularnation[wp] verändert.

Wiedererlangung der Unabhängigkeit nach dem Zerfall der Sowjetunion

Im Rahmen der Perestroika[wp] fanden in den sowjetischen Republiken im Frühjahr 1990 Parlamentswahlen statt und am 30. März 1990 erklärte Estland sich zur Republik[wp]. Am 18. Dezember 1990 verzichtete Estland auf eine weitere Mitarbeit im Obersten Sowjet der UdSSR[wp]. In einer Volksabstimmung über den künftigen Status der Republik[wp] stimmten 78 Prozent der Wahlberechtigten am 3. März 1991 für die Restitution der Unabhängigkeit. Nach dem Augustputsch in Moskau[wp] am 20. August 1991 erklärte der Oberste Rat die volle Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Am 23. August 1991 wurde der sowjetische Geheimdienst KGB[wp] und am 25. August alle Organe der Kommunistischen Partei der Sowjetunion[wp] (KPdSU) verboten. Die Sowjetunion erkannte die Unabhängigkeit Estlands am 6. September 1991 an.

Estland stellte damit nach einem mehrjährigen Prozess der Loslösung von der Sowjetunion - im Zuge von Glasnost[wp] und Perestroika[wp], insbesondere seit 1988 – seine Souveränität wieder her. Diese überwiegend friedlich verlaufende Entwicklung wurde als "singende Revolution"[wp] bekannt.

NATO-Osterweiterung

Hauptartikel: NATO-Osterweiterung

Estland wurde am 29. März 2004 NATO-Mitglied. Die estnische Bürgerschaft befürwortete am 14. September 2003 in einem Referendum[wp] den Beitritt zur Europäischen Union. Am 1. Mai 2004 wurde daraufhin Estland in die EU aufgenommen. Am 9. Dezember 2010 erfolgte der Beitritt zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung[wp] (OECD).[7] Am 1. Januar 2011 führte Estland als erster der baltischen Staaten den Euro[wp] ein (siehe auch Estnische Euromünzen[wp]).

Kultur

Estland wird kulturell vor allem nordeuropäisch beeinflusst. Die Altstädte weisen die typischen im Raum der Hanse[wp] verbreiteten architektonischen Stilelemente auf. Auch die aktuelle estnische Kultur besitzt vielfältige Bezüge zu Schweden und Finnland, vor allem aber zum norddeutschen[wp] Kulturraum.

Geographie

Estland befindet sich im Norden des Baltikums[wp], dessen Zuordnung umstritten ist, weil hierbei neben geographischen Kriterien auch historisch-kulturelle und politische Aspekte zu berücksichtigen sind. So wird das Baltikum sowohl Nordeuropa als auch Mitteleuropa, Osteuropa und Nordost­europa zugeordnet. Die Republik Estland hat eine Fläche von 45.335 km² und ist damit flächenmäßig etwas kleiner als Niedersachsen[wp] und etwas größer als die Schweiz.

Bevölkerung

Estland hat rund 1,3 Millionen Einwohner (2022), die meist Esten, seltener Estländer genannt werden. Die Bevölkerungs­mehrheit bilden ethnische Esten (rund 70 Prozent), ein finno-ugrisches Volk; daneben gibt es eine bedeutende russische Minderheit (22,5 Prozent).

Die Auswanderung junger qualifizierter Einwohner (meist ethnische Esten) nach Skandinavien sowie West- und Mittel­europa stellt, bei einer konstant niedrigen Geburtenrate in Estland, ein großes Problem für das Land dar.

Demographie

Grafik der männlichen und weiblichen Bevölkerung Estlands von 2016 mit der Anzahl pro 1000 Einwohner von 0 bis 50 auf der x-Achse und dem Alter von 0 bis 100 auf der y-Achse.
Bevölkerungspyramide Estland 2016

Estland hatte 2022 1,3 Millionen Einwohner. Das jährliche Bevölkerungs­wachstum betrug + 1,3 %. Trotz eines Sterbe­überschusses (Geburtenziffer: 8,6 pro 1000 Einwohner vs. Sterbeziffer: 12,8 pro 1000 Einwohner) wuchs die Bevölkerung durch Migration. Die Anzahl der Geburten pro Weib lag 2022 statistisch bei 1,4, die der Europäischen Union betrug 1,5. Die Lebenserwartung der Einwohner Estlands ab der Geburt lag 2022 bei 77,9 Jahren (Frauen: 82,4, Männer: 73,7). Der Median des Alters der Bevölkerung lag im Jahr 2021 bei 41,5 Jahren. Im Jahr 2023 waren 16,3 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahre, während der Anteil der über 64-Jährigen 20,9 Prozent der Bevölkerung betrug.

Bevölkerungsstruktur

Neben der estnischen Mehrheit (68,95 %) gibt es eine große russische Minderheit (25,48 %) sowie kleinere Gruppen von Ukrainern (2,05 %), Belarussen (1,14 %) und Finnen (0,78 %). In Tallinn sind 45 Prozent der Einwohner keine ethnischen Esten.

Infrastruktur

Digitalisierung

In Estland garantiert der Staat seit dem Jahr 2000 per Gesetz seinen Bürgern einen Zugriff auf das Internet. Im ganzen Land gibt es WLAN[wp]-Zugangspunkte zum Internet, mit denen die bewohnten Flächen abgedeckt werden. Rund 99 Prozent des Landes sind mit diesem kostenlosen Hot-Spot-Netz abgedeckt. Wer keinen eigenen Rechner hat, darf gratis an einem von 700 öffentlichen Terminals in Postämtern, Bibliotheken oder Dorfläden ins Netz. Alle Schulen sind online. Estland verfügt über die meisten Internet­anschlüsse pro Kopf weltweit.

Estland gibt an, das weltweit technologisch modernste Verwaltungssystem zu haben. Jeder Bürger besitzt eine ID-Nummer. Seit 2007 können Esten über das Internet an Wahlen teilnehmen, ihre Steuern abrechnen und Rezepte vom Arzt empfangen. Wegen der damit verbundenen Verwundbarkeit durch Cyber­attacken[wp] wurden Backupserver in Luxemburg eingerichtet. Sie enthalten die digitale Verwaltungs­software Estlands und die Datensätze der Bürger. Am 26. April 2007 begann ein massiver digitaler Angriff von gekaperten Computer­netzwerken, der die Server der Behörden, Medien und Banken kollabieren ließ. Er war Anlass für die Einrichtung von Cyberkriegs­forschungs­zentren[wp], an denen auch die NATO beteiligt ist.

Einzelnachweise

  1. Der Grosse Ploetz. 33., neu bearb. Auflage. 2002, ISBN 3-89836-237-X, S. 1058.
  2. Hermann Kinder, Werner Hilgemann: dtv-Atlas zur Weltgeschichte : Band 2, 19. Aufl., München : dtv, 1984, ISBN 3-423-03002-X, S165
  3. Der Grosse Ploetz. 33., neu bearb. Auflage. 2002, ISBN 3-89836-237-X, S. 1058–1059.
  4. Der Grosse Ploetz. 33., neu bearb. Auflage. 2002, ISBN 3-89836-237-X, S. 1058.
  5. Deportationen in Estland[archiviert am 28. Juni 2004], Radio Bremen, Nordwestradio, 2004
  6. Alte neue Angst - Estland und der bedrohliche Nachbar Russland, SRF International, 23. Oktober 2022, Minute 2
  7. Estonia's accession to the OECD, OECD[wp] (Englisch)

Netzverweise