Elisabeth Raether (* 1979) ist eine deutsche Autorin und Journalistin.
2008 veröffentlichte sie zusammen mit Jana Hensel[wp] den Band Neue deutsche Mädchen, in dem die beiden Autorinnen ihre Erfahrungen als Frauen der Generation der 30-Jährigen in beiden deutschen Staaten beschreiben.
In dem Buch beschreiben die Autorinnen den Feminismus der 1970er Jahre - für den Alice Schwarzer und die Zeitschrift EMMA stehen - als überkommen und setzen ihre eigenen, stark autobiographisch geprägten Geschichten von Rollenbildern und Sexualität, Familie und Beruf aus der Perspektive junger Frauen dagegen.
Das Buch löste zusammen mit den zeitnah erschienenen Büchern Wir Alphamädchen von Meredith Haaf, Susanne Klingner, Barbara Streidl und Feuchtgebiete der Moderatorin Charlotte Roche eine Diskussion um einen "neuen Feminismus" in den Feuilletons der großen deutschsprachigen Zeitungen aus.
Im Zuge der Debatte warf Alice Schwarzer in ihrer Dankesrede bei der Verleihung des Ludwig-Börne-Preises[wp] den beiden Autorinnen "Wellness-Feminismus" vor, woraufhin diese mit einem Text in der Süddeutschen Zeitung ("Warum wir gegen Buchhalter-Feminismus sind") [1] antworteten.
Elisabeth Raether lebt heute als Autorin, Journalistin und Lektorin in Hamburg und Berlin.[2]
Werke
- mit Jana Hensel: Neue deutsche Mädchen., Rowohlt 2008, ISBN 3-498-02994-0
- mit Ulrike Holzwarth-Raether und Kerstin Meyer: Das Grundschulwörterbuch - sag es besser!, Dudenverlag 2006, ISBN 3-411-72051-4
Standpunkte
Zur Realität der Abtreibungspraxis und die Situation der Ärzte:
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«Eva Beck dreht den Monitor des Ultraschallgeräts von der Patientin weg, sodass diese nicht sieht, was Beck sieht: einen wenige Zentimeter großen Embryo, ein paar Wochen alt, erst die Andeutung eines Menschen, aber das Kindchenschema ist schon erfüllt. Der Embryo hat einen großen runden Kopf, eine gewölbte Stirn und strampelt mit kurzen Armen und Beinen. Die Technik des Ultraschalls mag vergleichsweise neu sein, die Bilder, die sie produziert, bewirken, dass die uralten Gesetze der Evolution greifen und der Schlüsselreiz wirkt: Auf ein Kind passt man auf, denkt Eva Beck. Aber Beck ist Ärztin, und deshalb passt sie auch auf ihre Patientin auf. Sie will den Frauen den Anblick ihrer Ungeborenen ersparen, weil das die Abtreibung noch schwieriger macht, als sie sowieso schon ist. Diesmal ist die Patientin Anfang zwanzig und hat eine Freundin zum Abtreibungstermin mitgebracht. Die Mädchen sind nervös, sie kichern. Da entdeckt die Freundin den Embryo auf dem Ultraschall und ruft: "Guck mal, es zappelt ja schon!", woraufhin beide in kreischendes Gelächter ausbrechen. Wer sind die Leidtragenden solcher Situationen, die Eva Beck nicht vergessen kann, weil sie "unwürdig" seien? Das unfertige Kind zweifellos. Das junge Mädchen, das vielleicht nur aus Hilflosigkeit kichert. Oder doch nicht? Eva Beck weiß es nicht, sie spricht mit der Patientin nur während dieser wenige Minuten dauernden Untersuchung, bevor der Anästhesist die Narkose verabreicht. Beck empfindet auch sich selbst als Leidtragende, weil sie den Embryo aus der Gebärmutter saugen muss.»[3]
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«Eine so genaue Schilderung einer Abtreibung wird diesen Artikel für manche fragwürdig erscheinen lassen: Muss man das? Muss man diese Details ausbreiten? Was will man damit sagen? Frauen, die abtreiben, versündigen sich? Gegenfrage: Wenn wir Frauen eine persönliche Moral zugestehen bei der Entscheidung, ob sie abtreiben lassen, warum gestehen wir nicht auch Ärztinnen eine persönliche Moral zu, frei zu entscheiden, ob sie Abtreibungen vornehmen wollen oder nicht?»[3]
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«Immer noch ist die Abtreibung ein Thema, das polarisiert. Wer nicht dafür ist, ist dagegen. Jedes Mal, wenn die Politik versucht, die Gesetzgebung zu liberalisieren, bricht ein Kulturkampf los. Zuletzt in den neunziger Jahren, als CDU, CSU und konservative Verfassungsrichter auf der ausdrücklichen Missbilligung des Schwangerschaftsabbruchs im Gesetzestext bestanden. So ist der Paragraph 218 ein mühsamer Kompromiss und klingt wie juristische Satire: Der Schwangerschaftsabbruch ist rechtswidrig, aber straffrei.»[3]
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«Die gesellschaftliche Anstrengung bestand seither darin, die Stigmatisierung der Frauen aufzuheben, die ein Kind abtreiben lassen. Das war eines der wichtigsten Anliegen der Frauenbewegung.»[3]
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«Heute überlässt der Staat den Frauen selbst die Entscheidung, [ob sie abtreiben oder nicht]. Einigen von ihnen fällt der Entschluss schwer, anderen nicht. Einige sehen keinen anderen Ausweg, andere fanden es die leichteste Lösung. Einige zählen selbstquälerisch nach, wie alt das Kind wäre, das sie abgetrieben haben, andere kommen schnell darüber hinweg. Einige trauern um ein krankes Kind, dem sie Leid ersparen wollten, andere konnten sich ein Leben mit einem behinderten Kind nicht vorstellen. Zu jeder dieser Frauen, zu jeder dieser unterschiedlichen Geschichten von Trauer, Furcht, Erleichterung gehört die Geschichte eines Arztes oder einer Ärztin, die den Eingriff durchgeführt haben. Unter ihnen gibt es diejenigen, die Frauen aus einer Notlage helfen wollen, es gibt diejenigen, die ihre Arbeit für notwendig und sinnvoll halten. Und es gibt Ärzte, die sich deswegen Vorwürfe machen.»[3]
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«Eva Beck ist 35 und Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Hamburg. Sie wollte schon immer Ärztin werden. Als sie in der fünften Klasse war, half sie sonntags im Krankenhaus ihres niedersächsischen Heimatdorfes aus. Die anderen Kinder hatten Angst vor den Kranken und ihrem Geruch. Sie war wie magisch angezogen von diesem Ort, an dem geheilt und versorgt wurde. Sie rannte, um dem Arzt ein Stethoskop zu holen, leerte Bettpfannen und teilte das Essen an die Patienten aus. Doch jetzt ist sie eine Ärztin geworden, die werdendes Leben zerstört.»[3]
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«Es ist sieben Jahre her, dass Eva Beck ihre Ausbildung zur Fachärztin der Frauenheilkunde und Geburtshilfe in einem Hamburger Krankenhaus beginnt. Es ist ihr erster Job nach dem Studium, und am Anfang besteht er hauptsächlich daraus, Babys auf die Welt zu bringen. Gibt es einen schöneren Beruf?, fragt sie sich. Ihr fällt keiner ein.»[3]
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«Um bei der Ärztekammer die Facharztprüfung ablegen zu können, muss sie 250 Operationen selbstständig durchgeführt haben, davon 150 kleinere gynäkologische Eingriffe und 100 längere Operationen wie Bauchspiegelungen und Gebärmutterentfernungen. Das ist die größte Herausforderung für einen angehenden Facharzt: auf die notwendige Anzahl von Operationen zu kommen. Er muss es schaffen, möglichst oft in den OP zu kommen, um nicht Jahre zu verlieren.»[3]
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«Nach drei Jahren an der Klinik fehlen ihr immer noch 70 Operationen. Sie kennt den Grund: Hamburg ist eine Stadt der Ambulatorien, das sind Praxiskliniken, die extrem effizient arbeiten und Routineoperationen ohne Komplikationsrisiko vornehmen. Die großen Kliniken dagegen - solche wie die, in der Beck arbeitet - sind auf anspruchsvolle Eingriffe spezialisiert. Dort werden kaum noch gewöhnliche Operationen übernommen, die ein Arzt in Ausbildung allein durchführen könnte - wodurch er dazulernen und einen weiteren OP-Bericht abheften könnte. Beck kennt die Lösung für ihr Problem, doch sie hat den Gedanken daran an den äußersten Winkel ihres Gehirns geschoben. Um ihre Facharztprüfung ablegen zu können, muss sie von ihrem Krankenhaus für ein paar Monate an eine Praxisklinik ausgeliehen werden. Praxisklinik bedeutet: Schwangerschaftsabbrüche. Täglich. Wie am Fließband. Ein einfacher Eingriff, der nur wenige Minuten dauert und für die Praxisklinik kostendeckend ist.»[3]
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«Eva Beck denkt, dass es doch gar nicht so schwer ist, verantwortungsvoll und konsequent zu leben. Es gibt das Gute auf der Welt, und es gibt das Schlechte, denkt sie, und ein Arzt tut Gutes. Dann steht sie vor der Entscheidung, ob sie ihrem Chef sagen soll, dass sie nicht an die Praxisklinik gehen will. Sie könnte ihm sagen, dass sie an der Praxisklinik keine Schwangerschaftsabbrüche durchführen wird. Die Klinik hat ihr zu Beginn der Ausbildung zugesichert, Abtreibungen spielten keine Rolle in dem Haus, und sie hat ihnen geglaubt. Darauf könnte sie sich berufen. Aber dann würde der Deal mit der Praxisklinik platzen. Sie wüssten dort nicht viel mit ihr anzufangen. Ihre Verhandlungsposition ist miserabel. Sie könnte an ein konfessionelles Haus gehen. Doch in ganz Hamburg ist keine einzige Stelle ausgeschrieben. Und unter Klinikärzten ist bekannt, dass kirchliche Krankenhäuser oft noch schlechtere Arbeitsbedingungen bieten - noch mehr unbezahlte Überstunden -, da sie nicht an allgemeine Tarifverträge gebunden sind.»[3]
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«Als sie sich entscheidet an die Praxisklinik zu gehen und der Chefarzt sie dort pro forma fragt , ob sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen würde, sie sagt: Ja. Es ist ein Moment, in dem sie nichts empfindet. Das Grübeln hat sie in den Monaten und Wochen davor erledigt. [...] Sie ist jetzt Mutter, sie muss ihre Ausbildung abschließen, und wenn sie nicht Vollzeit arbeiten will, wird der Ordner mit den OP-Berichten sich noch langsamer füllen.»[3]
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«Sie weiß, dass nur ein liberales Abtreibungsgesetz es Frauen ermöglicht, Sex ohne Angst zu haben, und dass es sinnvoll und legitim sein kann, eine Schwangerschaft abzubrechen. Aber sie kann sich nicht daran gewöhnen, dass es ihre Hände sind, die den Embryo töten.»[3]
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«Als behandelnde Ärztin darf sie sich nicht in die Geschichten der Patientinnen einmischen. Geredet wird bei der Beratung, die das Gesetz vorschreibt und die mindestens drei Tage vor dem Eingriff in einer Beratungsstelle stattfindet. Eva Beck ist nur ausführendes Organ. Sie fragt sich, ob ihr ihre Arbeit auch deshalb so brutal erscheint: Oft weiß sie wenig über die Geschichte ihrer Patientinnen.»[3]
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«Manchmal kommt es ihr so vor, als wäre die Abtreibung für einige Frauen eine etwas umständliche Verhütungsmethode: nicht angenehm, aber auch nicht weiter schlimm. [...] Sie fragt sich, ob es denn wirklich so schwer sein kann, einmal am Tag daran zu denken, die Pille zu nehmen. Sich mal seinen Zyklus auszurechnen. Sollte nicht jede Frau halbwegs die Funktionsweisen ihrer Geschlechtsorgane kennen? Gehören zur sexuellen Selbstbestimmung nicht auch Kenntnis und Verantwortung?»[3]
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«Ratschläge darf sie nicht geben. Das ist der Arztjob. Helfen, handeln, heilen: ja. Missionieren und erziehen: nein. In diesem System menschlich bleiben, idealistisch sein: ja. Eine Meinung haben: nein.»[3]
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«Sie sagt zu ihrem Mann, während sie das Abendessen zubereitet: "Ich habe heute wieder zehn Kinder um die Ecke gebracht."»[3]
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«An Weihnachten spendet sie eine große Summe an eine Stiftung, die sich für behinderte Kinder einsetzt.»[3]
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«Weil ein Spätabbruch medizinisch indiziert ist, weil also ein Arzt festgestellt hat, dass der Schwangerschaftsabbruch für die Patientin medizinisch notwendig ist, kann Eva Beck sich nicht weigern, den Eingriff durchzuführen. Das Wohl seiner Patienten zu schützen ist die wichtigste Aufgabe eines Arztes. Das sagt ihr Chefarzt. Eva Beck weiß, dass sie sich gegen ihn nicht durchsetzen würde. Sie würde wahrscheinlich ihren Job verlieren, im schlechtesten Fall sogar die Approbation. Sie weiß auch, dass die Situation in den gynäkologischen Abteilungen der meisten Krankenhäuser ähnlich aussieht. Und da die Verfahren der Pränataldiagnostik immer weiter verfeinert werden, wird die Zahl der schlechten Diagnosen und die Zahl der späten Schwangerschaftsabbrüche in den nächsten Jahren steigen. Wenn Eva Beck Frauenärztin an einer deutschen Klinik bleiben will, hat sie keine Wahl.»[3]
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Zur Frage "Sind Frauen bessere Menschen?":
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«Es gibt viele Beispiele in der Geschichte und in der Gegenwart, die belegen, dass jede schlechte Eigenschaft, die man Männern zuschreibt, auch bei Frauen vorkommt. Frauen sind gewalttätig, eitel, verlogen, unbeherrscht, habgierig, herablassend, unbelehrbar, fahrlässig, grob, laut, unordentlich, niederträchtig, egozentrisch. Frauen sind genauso böse wie Männer.»[4]
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«Fragt man einen Detektiv wie Marcus Lentz, Geschäftsführer der Detektei Lentz, einer der größten in Deutschland, stellt sich heraus, dass es auch beim Ehebruch in der Häufigkeit keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt. Trotzdem ist es den Frauen gelungen, sich das Image zu verleihen, sie seien empathischer als Männer - als hätten sie stets ein offenes Ohr für die Sorgen ihrer Mitmenschen.»[4]
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«"Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin" hieß ein erfolgreiches Frauenbuch von 1994, ein Ratgeber im Plauderton. Man traute Frauen einfach nicht zu, dass sie wirklich schlechte Menschen sein könnten. Das war etwa die Zeit, als die Serbin Biljana Plavšić im Jugoslawienkrieg ethnische Säuberungen anordnete, die Tausende Muslime das Leben kosteten. Plavšić war Stellvertreterin des Serbenführers Radovan Karadžić. Die Biologieprofessorin entdeckte im Krieg ihr Talent zur ultranationalistischen Rhetorik und bezeichnete die Muslime als "genetischen Irrtum im serbischen Körper". Plavšić war die einzige Frau, die vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag angeklagt wurde, und sie war eine der wenigen, die sich schuldig bekannten. So sind Frauen, sie geben Unrecht zu - dieses Klischee kam Plavšić zugute. Ihres Schuldeingeständnisses wegen wurde sie statt zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu elf Jahren verurteilt. Dass die Reue vorgetäuscht war, verkündete sie ein paar Jahre später. 2009 wurde sie aus der Haft entlassen, die sie in Schweden abgesessen hatte, wo einige vom Internationalen Gerichtshof Verurteilte ihre Strafe verbüßen. Sie hasse die Muslime noch immer, erklärte sie einer Journalistin, und die tolerante schwedische Gesellschaft mit der albernen Idee, alle gleich zu behandeln.»[4]
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«Jedes menschenverachtende System, das es gegeben hat, wurde von Frauen mitgetragen und mitverteidigt. In den USA waren es die Frauen, die den schwarzen Sklaven im Haus die Befehle gaben.»[4]
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«Als Marina Abramović als junge Künstlerin 1974 ihre Performance "Rhythm 0" aufführte, stand sie in einem Ausstellungsraum und hatte um sich herum einige Gegenstände des Alltags arrangiert: eine Peitsche, eine Feder, ein Skalpell, eine Rose. Ein Schild forderte das Publikum auf, die Gegenstände nach Belieben gegen die Künstlerin einzusetzen. Die Besucher waren zunächst zögerlich, doch bald kippte die Stimmung, es wurde gewalttätig. "Die Frauen aus dem Publikum legten nie selbst Hand an, aber sie gaben den Männern genaue Anweisungen, was sie mit mir anstellen sollten." So könnte man die Geschichte der Frauen auch erzählen: Die Frauen standen am Rand und feuerten die Männer an.»[4]
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«Das berühmte Milgram-Experiment zeigte schon 1961, dass Frauen nicht weniger grausam als Männer sind: Genau wie die meisten Männer hatten sie kein Problem damit, während des Versuchs anderen auf Anweisung einer Autoritätsperson elektrische Schläge zu versetzen.»[4]
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«Die weibliche Kriminalitätsrate ist überhaupt erst seit der Erfindung der bürgerlichen Frau so niedrig. Eine Studie, die die Gerichtsakten am Zentralen Strafgerichtshof von London zwischen 1687 und 1912 ausgewertet hat, belegt, dass bis ins 18. Jahrhundert beinahe ebenso viele Frauen wie Männer kriminell wurden. Sie machten 45 Prozent der Angeklagten aus, und sie waren nicht nur wegen sogenannter Frauendelikte wie Hexerei oder Kindstötung[wp] angeklagt, sondern auch wegen Mord, Raub und Betrug. Erst ab dem 19. Jahrhundert sank der weibliche Anteil an Straftätern, bis er 1895 bei unter zehn Prozent lag.»[4]
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«Mit der Stilisierung der Frau zum Wesen von Reinheit und Güte entstanden auch bei Richtern und Polizisten falsche Sensibilitäten, weshalb Frauen bis heute seltener verdächtigt und seltener verurteilt werden.»[4]
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«Der Anteil der Täterinnen in Fällen von Kindesmisshandlung liegt [...] bei bis zu 67 Prozent.»[4]
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«In der Öffentlichkeit werden die Ursachen für die Kindstötung immer mit der Opferrolle erklärt. Die unschuldig Verführte, die im Stich Gelassene, zum Äußersten Getriebene - diese Vorstellung haben wir von Goethe und seinem Gretchen aus dem 19. Jahrhundert übernommen.»[4]
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«Oft genug gehörten Frauen zur herrschenden Klasse und waren Teil des Systems. Frauen zu Schoßhündchen zu machen war im Biedermeier eine gesellschaftliche Idee, deren Sinn darin lag, die Härten des Frühkapitalismus abzufangen. Damals erschienen die großen Frauenromane, Effi Briest, Anna Karenina, Madame Bovary - Frauen galten als diejenigen, die noch Liebe empfanden in einer kalten, funktionalen Gesellschaft. Ist es Zufall, dass gerade heute die Frauen wieder zu besseren Menschen stilisiert werden? Geht es darum, dem entfesselten Kapitalismus, vor dem sich derzeit viele fürchten, ein menschliches Antlitz zu verleihen, ohne die tieferen Strukturen infrage zu stellen?»[4]
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Einzelnachweise
- ↑ Jana Hensel und Elisabeth Raether: Antwort auf Alice Schwarzer: Warum wir gegen Buchhalter-Feminismus sind, Süddeutsche Zeitung am 17. Mai 2010
- ↑ Kurzbio auf Perlentaucher
- ↑ 3,00 3,01 3,02 3,03 3,04 3,05 3,06 3,07 3,08 3,09 3,10 3,11 3,12 3,13 3,14 3,15 3,16 3,17 Abtreibungen: Die Gewissenhafte, Die Zeit am 24. Oktober 2013 (Eine Frauenärztin ringt mit sich: Sie will keine Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Aber es führt kein Weg daran vorbei.)
- ↑ 4,00 4,01 4,02 4,03 4,04 4,05 4,06 4,07 4,08 4,09 4,10 Charakter: Miss Verstanden, Die Zeit am 1. März 2013 (Frauen sind sanftmütiger, klüger, teamfähiger, ach, sie sind einfach die besseren Menschen. Unsere Autorin erklärt, warum das nicht stimmt.)
Netzverweise