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OLG Brandenburg, Beschluss 15 UF 314/11 vom 21.06.2012
Anmerkung: Der Text des Beschlusses wird nur unvollständig widergegeben, da er in einer kostenfreien Datenbank lediglich auszugsweise und ohne Absatznummern veröffentlicht wurde.
OLG Brandenburg, Beschluss 15 UF 314/11 vom 21.06.2012
„... Die Umgangsregelung des Familiengerichts ist unzulässig, soweit mit ihr ein wöchentlicher Wechsel des Aufenthalts der gemeinsamen Kinder J… und H… jeweils bei ihrem Vater und bei ihrer Mutter angeordnet worden ist. Die Anordnung des paritätischen Aufenthalts eines Kindes bei getrennt lebenden Eltern überschreitet die Umgangsregelungsbefugnis, die dem Familiengericht gem. § 1684 Abs. 3 BGB eingeräumt ist. Der Streit der Eltern über die Fortsetzung bzw. Begründung eines "Wechselmodells" betrifft zwar die persönlichen Kontakte jedes Elternteils mit dem Kind, geht jedoch über die Regelung gelegentlicher Kontakte des Umgangsberechtigten, wie sie dem gesetzlichen Leitbild des § 1684 Abs. 3 BGB zu Grunde liegt, hinaus. Er betrifft das Recht der Eltern, den Aufenthalt ihres Kindes zu bestimmen, und ist damit vom Umgangsrecht zu unterscheiden.
Die Frage, ob die paritätische Betreuung eines Kindes durch Eltern, die voneinander getrennt leben, als Umgangsregelung oder als Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts verstanden werden muss, wird allerdings in Literatur und Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet.
Nach einer Ansicht dient das Umgangsrecht des Kindes mit seinen Eltern in erster Linie dem Kindeswohl, sodass auch eine Betreuungsregelung mit gleichen Anteilen beider Eltern als Umgangsregelung verstanden werden könne, wenn diese Regelung dem Kindeswohl entspreche (KG, B. v. 28.02.2012 - 18 UF 184/09 -, Zit. nach juris; FamRZ 2008, 634; Gutjahr, FPR 2006, 301).
Nach anderer Auffassung liegt der gerichtlichen Umgangsregelungsbefugnis gem. § 1684 Abs. 3 BGB das Modell eines überwiegenden Aufenthalts des Kindes beim betreuenden Elternteil zu Grunde (Residenzmodell). Nach der Intention des Gesetzgebers diene der Umgang des Kindes mit dem nichtbetreuenden Elternteil der Aufrechterhaltung persönlicher Beziehungen und könne schon deshalb quantitativ nicht den Umfang einer gleichberechtigten oder gar überwiegenden Betreuung erreichen. Die tatsächliche Ausgestaltung des Umgangs könne allenfalls zu einer zeitlichen Beschränkung der überwiegenden Betreuung eines Elternteils führen, nicht aber zur Beseitigung des Betreuungsschwerpunktes bei diesem Elternteil oder gar zur Verlagerung des Betreuungsschwerpunktes auf den Umgangsberechtigten; der Umfang des Umgangs könne die Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nicht konterkarieren (Staudinger/Coester, BGB (2009), § 1671, Rn. 23 u. 261; MüKo-BGB/Hennemann, 6. Aufl., § 1671, Rn. 91; Heilmann, NJW 2012, 16).
Der Senat folgt der zuletzt genannten Ansicht.
Der Umgang zwischen Eltern und ihrem Kind ist eine grundlegende Basis für die Eltern-Kind-Beziehung und damit neben dem Sorgerecht ein wesentlicher Bestandteil des von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Elternrechts. Das Umgangsrecht soll dem Umgangsberechtigten, der nicht mit dem Kind zusammenlebt, ermöglichen, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung durch Augenschein und gegenseitige Aussprache fortlaufend zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu dem Kind aufrechtzuerhalten, einer Entfremdung vorzubeugen sowie dem gegenseitigen Liebesbedürfnis Rechnung zu tragen. Dem entspricht es, dass der Gesetzgeber den Eltern in § 1684 Abs. 1 BGB das Recht auf Umgang mit ihrem Kind eingeräumt hat, unabhängig davon, ob ihnen das Sorgerecht für das Kind zusteht, denn gerade für einen nicht sorgeberechtigten Elternteil ist das Umgangsrecht die wesentliche Grundlage dafür, sein Elternrecht aus Art.v6 Abs. 2 Satz 1 GG überhaupt ausüben zu können (BVerfG, FamRZ 2008, 845; BGH, FamRZ 1975, 103; 1984, 778; 1999, 651).
Das Elternrecht auf Umgang mit dem Kind besteht jedoch nicht unbeschränkt. Neben dem Kindeswohl als maßgeblichem Kriterium findet es auch eine Beschränkung in dem Elternrecht des anderen Elternteils.
Der rechtlichen Ausgestaltung des Umgangsrechts liegt das Leitbild des Residenzmodells zu Grunde, wonach sich das Kind die überwiegende Zeit bei dem betreuenden Elternteil aufhält und die Umgangszeiten des anderen Elternteils hinter dieser Betreuungszeit zurückbleiben. Diesem Leitbild entsprechen auch die an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes beim betreuenden Elternteil anknüpfenden rechtlichen Regelungen über die unterschiedlichen Entscheidungskompetenzen des betreuenden und des umgangesberechtigten Elternteils in §§ 1687 f. BGB, über das Vertretungsrecht in § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB und über die Art der Unterhaltsgewährung in § 1606 Abs. 3 BGB (Staudinger/Coester, BGB (2009), § 1671, Rn. 23; Kaiser, FPR 2008, 143). Somit kollidiert das Umgangsrecht mit der elterlichen Befugnis, den Aufenthalt zu bestimmen. Es beschränkt diese Befugnis, kann aber nicht an deren Stelle treten. Das Umgangsrecht findet deshalb seine Grenze, wo seine Ausübung zur Veränderung des Lebensmittelpunktes des Kindes abweichend von der Bestimmung des bzw. der Sorgeberechtigten führen würde. Das Recht zur Entscheidung, wo sich das Kind gewöhnlich aufhält, ist kein Ausfluss des Umgangsrechts, sondern ein Teil des elterlichen Sorgerechts. Ist der umgangsberechtigte Elternteil - wie hier - mitsorgeberechtigt, kann kein Elternteil eine zuvor einvernehmlich getroffene Aufenthaltsbestimmung einseitig abändern. Auch die Vereinbarung mitsorgeberechtigter Eltern über ein Wechselmodell, dessen Grundlage es ist, dass sich das Kind weder bei dem einen noch bei dem anderen Elternteil überwiegend aufhält, geht über eine bloße Umgangsregelung hinaus. Sie stellt sich als Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts dar, an die jeder Elternteil bis zur wirksamen Abänderung dieser Bestimmung gebunden ist.
Können die Eltern sich nicht über eine anderweitige Bestimmung des Aufenthalts einigen, steht es ihnen frei, die Übertragung dieses Teils der elterlichen Sorge gem. § 1671 Abs. 2 BGB auf sich zu beantragen, wobei das Familiengericht lediglich das Recht zur Bestimmung des Aufenthalts auf einen der Eltern übertragen könnte (OLG Düsseldorf, ZKJ 2011, 256). Die Anordnung eines Wechselmodells wäre dem Familiengericht auch im Wege der Sorgerechtsentscheidung versagt, weil es gem. § 1671 Abs. 2 BGB zwar das Recht zur Aufenthaltsbestimmung einem Elternteil übertragen kann, nicht jedoch dazu befugt ist, dieses Recht anstelle der Eltern auszuüben (BVerfG, FamRZ 2003, 511; OLG Düsseldorf, ZKJ 2011, 256).
Dann aber ist es dem Familiengericht insgesamt aus Rechtsgründen versagt, eine Regelung - sei es im Wege der Umgangs- oder der Sorgerechtsgestaltung - zu treffen, mit der es das Wechselmodell anordnet.
Die insoweit angefochtene Entscheidung des Familiengerichts, mit der das Wechselmodell angeordnet worden ist, war deshalb aus Rechtsgründen aufzuheben. Selbst wenn eine andere Regelung der tatsächlichen Betreuung als das Wechselmodell dem Kindeswohl besser entsprechen würde, wäre für eine solche Regelung kein Raum, weil sie im Ergebnis auf eine unzulässige Änderung der von den Eltern ursprünglich getroffenen Aufenthaltsbestimmung hinauslaufen würde. Nur zur Klarstellung weist der Senat deshalb darauf hin, dass die Mutter an diese Aufenthaltsbestimmung gebunden ist, solange sich die Eltern nicht einvernehmlich anders verständigen oder ihr in einem noch zu führenden Sorgerechtsverfahren das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen worden ist.
Der Senat hat gem. § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG von der Anhörung der beteiligten Minderjährigen abgesehen. Sowohl J… als auch H… sind bereits vom Familiengericht in erster Instanz angehört worden und haben sich zum Verfahrensgegenstand geäußert. Von ihrer erneuten Anhörung sind keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten, zumal die Beschwerdeentscheidung ausschließlich auf der Beurteilung rechtlicher Fragen beruht und es auf den Kindeswillen oder die Interessen der Söhne der beteiligten Eltern nicht entscheidend ankommt.
Der Senat lässt nach § 70 Abs. 1, 2 FamFG die Rechtsbeschwerde zu, da dies angesichts der von dieser Entscheidung abweichenden Rechtsprechung des Kammergerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Die Rechtssache hat auch grundsätzliche Bedeutung, weil von einer Vielzahl gleichartiger Fälle auszugehen ist. ..."
Einzelnachweise
- ↑ Karl Albrecht Schachtschneider: "Rechtsproblem Familie", S. 23, S. 28-31
Rechtsproblem Familie in Deutschland (41 Seiten)