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Gegengutachten
Gerichtlich angeordnetes Gegengutachten
Ein Gegengutachten kommt in Betracht, wenn ein vom Gericht eingeholtes Sachverständigengutachten wegen schwerer fachlicher Mängel oder nach einem erfolgreichen Ablehnungsgesuch nicht verwertet werden kann. In Familienverfahren liefert die Rechtsgrundlage § 412 der ZPO. Dort heißt es, das Gericht kann eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet. Außerdem kann es die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt ist.[1] Wird ein solches Gutachten vom Gericht angeordnet, spricht man auch von einem „Obergutachten“. In der Praxis dürfte eine solche Anordnung schwer zu erreichen sein, da Gerichte dazu neigen, die von ihnen beauftragten Gutachter zu schützen.
Privatgutachten
Daneben hat jede Prozesspartei die Möglichkeit, ein Privatgutachten einzuholen. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts [2] müssen sich die Gerichte auch mit solchen Gutachten beschäftigen; andernfalls verletzen sie den Anspruch auf rechtliches Gehör. Daneben gibt es mindestens noch ein weiteres Urteil (Az. 1 BvR 520/95). Auch die Rechtsprechung des BGH geht in diese Richtung.
Bundesgerichtshof, Urt. v. 10.10.2000 – VI ZR 10/00 (Oldenburg); NJW 2001,77/78:
Zitat: | «Einem sich etwa ergebenden Widerspruch zwischen dem gerichtlichen
und dem Privatgutachter hätte das BerGer. nach den vom erkennenden Senat in ständiger Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen nachgehen muessen.» |
Bundesgerichtshof, Urt. v. 13.10.1993 – IV ZR 220/92 (Koblenz); NJW-RR 1994, 219-221:
Zitat: | «Der Tatrichter hat sich mit Einwendungen einer Partei gegen ärztliche Gutachten auch eines gerichtlich bestellten Sachverständigen sorgfältig auseinanderzusetzen. Das gilt erst recht, wenn die Partei sich auf ein von ihr vorgelegtes aerztliches Privatgutachten stuetzt, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlichen Sachverstaendigen steht. In diesem Falle gilt nichts anderes als im Fall widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger.
Dem angefochtenen Urteil ermangelt es an einer nachvollziehbaren Begruendung dafuer, weshalb dem Gutachten des gerichtlichen Sachverstaendigen L der Vorzug vor dem des Privatgutachters G oder dem des V gegeben werden sollte.» |
Bundesgerichtshof, Beschl. v. 14.5.1975; StR 113/75:
Zitat: | «Die Verfahrensbeteiligten brauchen (sich) aber nicht auf die Sachkunde des Gutachters und darauf verweisen lassen, dass er wissenschaftliche Methoden verwende, welche die von ihm gefundene Beurteilung rechtfertigen. Die Untersuchungsergebnisse von Sachverstaendigen koennen ... vielmehr nur dann Anerkennung finden, wenn die Methoden, mit denen sie gewonnen sind, nachpruefbar sind, sei es durch die nicht selbst sachverstaendigen Verfahrensbeteiligten, sei es zumindest durch andere Sachverstaendige desselben Fachgebiets. Andernfalls hinge der Beweis der in Rede stehenden Tatsachen letztlich nicht von der richterlichen Ueberzeugungsbildung, sondern von der – moeglicherweise wissenschaftlich anfechtbaren – Meinung des Sachverstaendigen ab.» |
Quelle: KOEPPEL`S NETZKOMMENTAR NUMMER ACHT: EGMR: Privatgutachten muessen beachtet werden! sowie BGH-Urteile zur Gutachtensproblematik [3]
Weiter wird dort eine Entscheidung des EGMR (Sache Kutzner ./. Bundesrepublik Deutschland, Klage Nr. 46544/99 vom 26.02.2002) zitiert, die folgenden Satz enthält:
Zitat: | «Die betreffenden Schlussfolgerungen koennen nicht einfach ausser Acht gelassen werden, nur weil die Gutachten auf privater Basis verfasst wurden.» |
Wie viel Wert diese Aussagen entfalten, dürfte zu einem guten Teil vom Renommee und der fachlichen Qualifikation des Privatgutachters abhängen. Bietet die beauftragte Person hier nur die geringste Angriffsfläche, dürfte es einem abgeneigten Richter nicht schwerfallen, ein missliebiges Gutachten mit ein paar Sätzen als nicht beweiserheblich einzustufen.
Wissenschaftliche Stellungnahmen
Von einem ein Privatgutachten zu unterscheiden sind „wissenschaftliche Stellungnahmen“ zu einem Gerichtsgutachten. Bei ihnen wird von einem privat beauftragten Sachverständigen keine neuerliche Begutachtung durchgeführt. Stattdessen beschränkt sich die Stellungnahme darauf, die Qualität des gerichtlich eingeholten Gutachtens und die Qualifikation des Verfassers zu bewerten.
Eine solche Stellungnahme kann beispielsweise dazu verwendet werden, das Gericht zur Einholung eines Obergutachtens aufzufordern. Außerdem kann sie herangezogen werden, um einen Einspruch gegen die Aufforderung zur Bezahlung eines gerichtlich beauftragten Gutachtens zu begründen, wenn Gerichte für ein von ihnen eingeholtes, mängelbehaftet und voreingenommenes Gefälligkeitsgutachten die Rechnung präsentieren.
Einzelnachweise
- ↑ [1]
- ↑ 1 BvR 1999/09 vom 15. Mai 2012
- ↑ [http://www.koeppel-kindschaftsrecht.de/netzkom8.htm KOEPPEL`S NETZKOMMENTAR NUMMER ACHT: EGMR: Privatgutachten muessen beachtet werden! sowie BGH-Urteile zur Gutachtensproblematik]
- ↑ Karl Albrecht Schachtschneider: "Rechtsproblem Familie", S. 23, S. 28-31
Rechtsproblem Familie in Deutschland (41 Seiten)