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Artikel 21 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland
Der Artikel 21 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland gehört zum Abschnitt föderales Staatsorganisationsrecht "Der Bund und die Länder" des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (Artikel 20-37 GG). Der Artikel 21 beschäftigt sich mit der Rolle der politischen Parteien, die unscharf mit "wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit" umschrieben wird.
Wortlaut
Artikel 47 | Artikel 21 | |
Entwurf vom August 1948[1] | Urfassung vom Mai 1949[2] | seit 23. Dezember 1983[3] |
(1) Wahlvorschläge können nur von Wählergruppen eingereicht werden, die sich den Vorschriften über politische Parteien unterstellen.[4] | ||
(2) Die Bildung politischer Parteien ist frei. Abreden der Parteien, durch die die Abgeordneten in ihrer Stimmabgabe so gebunden werden, als ob in der abstimmenden Körperschaft nur eine Partei vertreten sein, sind verboten. | (1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft geben. | (1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.[5] |
(3) Durch Bundesgesetz können die Rechtsverhältnisse der Parteien und ihre Mitwirkung bei der politischen Willensbildung näher geregelt werden. Das Gesetz kann insbesondere bestimmen, daß Wahlvorschläge einer Partei von den Mitgliedern im Wege der Vorwahl beschlossen sein müssen. | ||
(4) Das Bundesverfassungsgericht kann Parteien, die sich nach der Art ihrer Tätigkeit die Beseitigung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung[wp] zum Ziel gesetzt haben, auf Antrag der Bundesregierung, welcher der Zustimmung des Bundesrats (Senats) bedarf, für verfassungswidrig erklären. Das Gericht kann einstweilige Anordnungen gegen solche Parteien treffen. Ohne verfassungsgerichtliche Entscheidung kann keine Behörde gegen eine Partei wegen verfassungswidriger Betätigung einschreiten. | (2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung[wp] zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht. | (2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht. |
(5) Das Bundeswahlgesetz kann bestimmen, daß Parteien, die nicht weniger 5 v. H. aller gültigen Stimmen auf sich vereinigen, keinen Sitz erhalten, und daß auf zusammengerechnete Reststimmen einer Partei nicht mehr Sitze entfallen, als die Partei in den Wahlkreisen unmittelbar erlangt hat. | (3) Das Nähere regeln Bundesgesetze. | (3) Das Nähere regeln Bundesgesetze.[6] |
Kommentare
Eigentlich ist im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland die Gewaltenteilung festgeschrieben. Der Einfluss der politischen Parteien, welcher die im Grundgesetz angelegte Gewaltenteilung unterläuft und vollständig aushebelt, wurde aber unterschätzt.
Das Grundgesetz kennt keine Vorkehrungen dagegen, daß ein und dieselbe Partei die Gesetze macht, anwendet und noch aus ihren Reihen Richter bestimmt, die über die Auslegung des Gesetzes zu wachen haben. Es ist gegenüber der Existenz politischer Parteien fast blind, und in Ausnutzung dieses blinden Flecks konnten diese die Macht über Exekutive und Legislative vollständig und über die Rechtsprechung im ausschlaggebenden Teilbereich der Verfassungsgerichtsbarkeit und der oberen Gerichte usurpieren.
Das GG nennt die Parteien nur nebenbei in Art. 21, nach dem sie an der politischen Willensbildung mitwirken sollen. Die Schöpfer der Verfassung hielten es für ausreichend, die drei Staatsgewalten institutionell für voneinander unabhängig zu erklären. Es soll keine Gewalt der anderen Anweisungen geben können. Die Fülle der Macht soll auf verschiedene Ämter und Institutionen verteilt und ein System der "checks and balances" geschaffen werden. Die Fülle verschiedener Ämter soll die Amtsträger in ihrer Machtentfaltung hemmen und gegenseitig ausbalancieren. Das für eine ausreichende Sicherung gegen Machtzusammenballungen anzusehen, ist aber naiv, weil es die parteilichen, ämterübergreifenden Machtstrukturen ignoriert und jeden Parteigänger im Amte als bloßen Einzelkämpfer ansieht. Die politischen Parteien spielen sich immer mehr selbst als Interessengruppen in eigener Sache auf. Weil sie die Gesetzgebung, die staatlichen Haushalte und die Exekutive beherrschen, unterlaufen sie die überkommenen Elemente gewaltenteilender Checks and Balances.[7] "Die vorhandenen checks and balances verdanken sich eher den ausdrücklichen oder stillschweigenden Spielregeln, die das Zusammenleben von Parteien, Verbänden etc. auf der unentbehrlichen Basis einer ungestörten Reproduktion der materiellen Voraussetzungen des sozialen Systems leiten, den verfassungsrechtlichen Bestimmungen."[8] Wie Kondylis[jw] generalisierend ausführt, gibt es "zwei Grundformen von Nichtrealisierung der Gewaltenteilung", von denen er unsere beschreibt: "Die Legislative wird zwar vom souveränen Volk gewählt, wie auch immer dessen Zusammensetzung ausfällt, und als Repräsentantin des Volkswillens trifft sie souveräne Entscheidungen. Sie wird aber ihrerseits durch die stärkste politische Partei beherrscht, deren ausführendes Organ faktisch die Regierung ist. Die stärkste Parteiführung dominiert also im Parlament, sie kontrolliert die Exekutive, und sie bestimmt direkt oder indirekt die Zusammensetzung und die Zuständigkeiten der Judikative." Schon Montesquieu[jw] hatte dieses Konzept als unzureichend mit den Worten verworfen: "Die Ämterfülle mindert das Ämterwesen manchmal. Nicht immer verfolgen alle Adligen dieselben Pläne. Gegensätzliche Tribunale, die einander einschränken, bilden sich. Auf solche Weise hat in Venedig der große Rat die Legislation inne, der Pregadi die Durchführung, die Vierzig die Gerichtsbefugnis. Das Übel besteht aber darin, daß diese unterschiedlichen Tribunale durch Beamte aus der gleichen Körperschaft gebildet werden. So entsteht kaum etwas anderes daraus, als die eine gleiche Befugnis."[9] In Deutschland besteht heute dasselbe Übel: Alle Gewalten sind von Mitgliedern derselben Parteien besetzt. Sie konstituieren letztlich den Staat und zwingen allen seinen Teilen ihre Gesetzlichkeit auf.[10] Ihre "fettfleckartige Ausbreitung"[11] über alle staatlichen und halbstaatlichen Einflußbereiche bringt es mit sich, daß wir uns - wie im Märchen vom Hasen und vom Igel - am Anblick der Staatsparteien tagtäglich erfreuen dürfen, sei es im Bundestag, sei es in der parteiproportionierten Verwaltung, bei den parteiproportionierten Obergerichten oder im Medienbereich, dessen Chefsessel heißbegehrte Beutestücke der Parteien sind.[12] Das Staats-Parteiensystem hat die klassische Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt,[13] weil alle Gewalten gleichermaßen von partei(an)gehörigen Seilschaften durchsetzt sind, denen Parteiräson vor Staatsräson geht. Der Parteienstaat läßt die Gewaltenteilung "unwirklich und fassadenhaft" erscheinen.[14] [...] Das entscheidende Versagen des Grundgesetzes liegt darin, daß es eine reine Parteienparlaments-Herrschaft zuläßt und seinen Parlamentsparteien den unumschränkten Zugriff auf alle Gewalten ermöglicht, weil es ihn nicht verbietet. So entstand das Gegenteil von einer Gewaltenteilung: eine Gewaltenverfilzung[15] nämlich. Die Gewaltenteilung ist hier und heute kein echtes politisches Machtverteilungsprinzip mehr, sondern sie ist zu einer reinen Zuständigkeitsaufteilung von Gremien verkommen, die allesamt in den Händen derselben "Beamtenschaft" (Montesquieu) bzw. Parteien liegen. Die Omnipotenz dieser Parteien[16] tendiert zum Einparteienstaat.[17] |
– Klaus Kunze[wp][18] |
Einzelnachweise
- ↑ "Chiemseer Entwurf" - Grundgesetz für einen Bund deutscher Länder (IV. Der Bundestag)
- ↑ Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - Urfassung vom 23. Mai 1949[archiviert am 26. Oktober 2021]
- ↑ Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 13. Juli 2017 (BGBl. I S. 2347) geändert worden ist.
- ↑ Der kommentierende Teil besagt zu Art. 47: Abs. 1 betrifft nur die Wahl zum Bundestag. Wahlvorschläge sollen nicht von Gewerkschaften, Kulturbünden und ähnlichen Gruppen eingebracht werden können, sondern nur von Gruppen, die sich dem zu schaffenden Parteiengesetz unterstellen. Der Ausdruck "Parteien" läßt sich natürlich, wenn dies nötig erscheint, vermeiden. Andererseits erscheint es auch bei Einführung der Mehrheitswahl nicht unbillig, daß sich jeder Bewerber, auch wenn er unabhängig von den bestehenden Parteien kandidiert, von wenigstens sieben Personen vorschlagen lassen muß, die dann eben im Sinne des Parteiengesetzes eine Partei darstellen und entsprechenden Kontrollen unterstehen.
- ↑ Fünfunddreißigstes Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 21 Abs. 1), BGBl. I 1983 S. 1481
- ↑ Bundestag: Grundgesetz: Der Bund und die Länder, abgerufen am 12. Januar 2012
- ↑ Arnim, F.A.Z. 27.11.1993
- ↑ Kondylis, Montesquieu, S. 96 f.
- ↑ Montesquieu, S. 214.
- ↑ Arnim: Staat ohne Diener, 1993, S. 107.
- ↑ R. v. Weizsäcker a.a.O., Wird unsere Parteiendemokratie überleben? 1983, S. 155.
- ↑ 40-50% der ARD- und ZDF-Mitarbeiter sind Parteimitglieder vgl. Scheuch, Cliquen, S. 45. Allgemein weicht die Parteipräferenz von Journalisten erheblich von derjenigen der Bevölkerung ab (Zahlen nach Criticón 1993, S. 237):
- ↑ Scheuch, Cliquen, S. 12 Fn.5, nach Hennis, Überdehnt und abgekoppelt, S. 32.
- ↑ Werner Weber, zit. nach Arnim, Staat ohne Diener, S. 107.
- ↑ Roman Herzog, in M-D-H, Art. 20 GG, V. Rdn. 29.
- ↑ Walter Schmitt Glaeser a.a.O., S. 153.
- ↑ Wolf Dietrich Narr: Auf dem Weg zum Einparteienstaat, 1977.
- ↑ Klaus Kunze[wp]: Der totale Parteienstaat - Abschied vom idealen Staat: Der Weg aus der Krise des deutschen Parteiensystems, 1. Auflage 1994, 2. neu bearbeitete Auflage 1998, ISBN 3-933334-01-2, S. 38, 40f.