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Abmahnwesen
Das Abmahnwesen ist wie eine Plage über das Internet gekommen. Einige mehr berüchtigte als berühmte Rechtsanwälte entdeckten schon bald eine neue Einnahmequelle für sich und verleideten damit Tausenden Internetanwendern das Internet. Dabei ist dieses Institut keineswegs neu und existierte auch schon in Vor-Internet-Zeiten. Aber das Internet verleitete Leute zu Dingen, deren rechtliche Konsequenzen sie nicht erkannten. Publizieren war früher eine Angelegenheit von Verlagen und Rundfunkanstalten, die das juristische Wissen dazu besaßen. Durch das Internet wurde es möglich, dass sogar (oder gerade) Jugendliche das mit geringem Aufwand machen konnte. Nachdem sich nicht einmal der Durchschnittsjurist mit Materien wie Urheber-[wp], Marken-[wp] oder Medienrecht[wp] auskennt, begann damit eine Welle von Rechtsverletzungen. Der Traum vom rechtsfreien Raum Internet platzte schnell und das Aufwachen war für viele bitter.
Hinzu kommt, dass es im Internet viele Bereiche gibt, die rechtlich noch umstritten sind und wo man im Vorhinein gar nicht sagen kann, ob etwas rechtlich in Ordnung ist. Gerade diese Rechtsunsicherheit wird immer wieder ausgenutzt, um Leute mit kostenpflichtigen Abmahnungen einzuschüchtern. Viele zahlen dann, obwohl sie sich im Recht fühlen, nur weil sie sich nicht auf einen Prozess einlassen wollen oder aus finanziellen Gründen auch nicht können. Häufige Fälle von Abmahnungen betreffen Versender von Werbe-E-Mails, Urheberrechtsverletzer (vor allem im Zusammenhang mit Bildern), Webseiten-Betreiber mit mangelhaftem Impressum und Linksetzer.
Der Begriff "Abmahnung" stammt an sich aus Deutschland, hat sich aber gerade durch die Internetfälle auch in Österreich eingebürgert. Wo immer jemand eine Rechtsverletzung begeht, kann er von dem in seinen Rechten Verletzten aufgefordert werden, das zu unterlassen. Das wäre an sich noch kein Problem und ist auch für jedermann einsichtig. Zum Problem wird es dadurch, dass sich der Auffordernde dazu, aus welchen Gründen immer, eines Rechtsanwaltes bedient und dieser für seine Tätigkeit vom Rechtsverletzer die Kosten für das Tätigwerden dieses Rechtsanwaltes verlangt. Dann stellt sich vor allem die Frage, ob die Beiziehung eines Rechtsanwaltes notwendig war oder ob dem Verletzten zumutbar gewesen wäre, zunächst selbst tätig zu werden und erst bei Erfolglosigkeit einen Rechtsanwalt zu beauftragen. Nur bei Notwendigkeit hat er Anspruch auf Ersatz der Kosten für den Anwalt. Die bisherige Judikatur ist diesbezüglich sehr großzügig und geht fast immer von der Notwendigkeit der Beiziehung eines Anwaltes aus, obwohl im Bagatellbereich und vor allem im nicht gewerblichen Bereich in neunzig Prozent aller Fälle eine höfliche Aufforderung per E-Mail genügen würde.
Das zweite Problem ist, dass der beauftragte Rechtsanwalt in der Regel für derartige Streitigkeiten, auch wenn es sich um banale Eingriffe, wie die Verwendung eines fremden Fotos handelt, enorme Streitwerte ansetzt (die allerdings in den Honorarrichtlinien der Rechtsanwälte gedeckt sind), wodurch auch die Kosten des Rechtsanwaltes, dessen Tarif streitwertabhängig ist, Höhen erreichen, die das Budget eines Normalverdieners sprengen.
Die Frage, ob die Kosten eines Rechtsanwaltes zu ersetzen sind und auf welcher Basis diese zu berechnen sind, ist in Österreich und Deutschland Gegenstand vieler juristischer Dispute und es gibt dazu viele, leider divergierende, Entscheidungen. Es ist bei diesen Fällen weitgehend eine Ermessensfrage, die das Gericht von Fall zu Fall so oder so entscheiden kann. Hinzu kommt, dass derartige Verfahren aufgrund des relativ geringen Streitwertes kaum zum Höchstgericht kommen, sodass es auch fast keine veröffentlichten Entscheidungen gibt. Es können daher auch in diesem Forum keine generellen Empfehlungen gegeben werden, wie man sich im Fall des Falles verhalten soll, es bleibt immer bis zu einem gewissen Grad ein Risiko. Dieses Kapitel versteht sich daher primär als Aufzeigen der verschiedenen Argumente und Darstellung der besonderen Situation im Internet, die dazu führen soll, dass auch die Gerichte ihre Rechtsprechung neu überdenken. Zu einer gewissen Entspannung könnte die Judikatur des BGH führen, wonach bei einfachen Rechtsverletzungen nicht sofort die Einschaltung eines Rechtsanwaltes gerechtfertigt ist, sodass in diesen Fällen, auch wenn einer eingeschaltet wird, die Kosten nicht zu ersetzen sind. Eine solche Judikatur wäre auch für Österreich wünschenswert.
Abmahnen können einerseits die Personen, die selbst in ihren Rechten beeinträchtigt worden sind, oder im Bereich des Wettbewerbsrechts auch bestimmte juristische Personen (z. B. Wettbewerbsvereine und staatliche Organisationen). Die Klagebefugnis, und damit das Recht zum Abmahnen, muss im Einzelfall geprüft werden. Insbesondere stellt sich diese Frage bei den diversen Vereinen zum Schutz des lauteren oder zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes. Bei diesen ist nämlich nach § 14 Abs. 1[ext] UWG Voraussetzung, dass sie Interessen vertreten, die durch die Handlung berührt werden. Das bedeutet, dass sie Mitglieder haben müssen, die mit dem konkret Abgemahnten im Wettbewerb stehen, also seiner Branche angehören.
Kosten für Unterlassungsaufforderungen sind so genannte vorprozessuale Kosten, die, wenn es aufgrund einer Unterwerfung des Aufgeforderten nicht zur gerichtlichen Klage kommt und dieser sich weigert, die Kosten freiwillig zu bezahlen, gesondert als Schadenersatzanspruch geltend gemacht werden müssen. Damit besteht augrund der geringen Höhe praktisch immer die Zuständigkeit der Bezirksgerichte. Als Schadenersatzanspruch ist der Anspruch verschuldensabhängig. Allerdings beseitigt Gesetzesunkenntnis nicht das Verschulden, sodass der Gesetzesverletzer nur in Ausnahmefällen der Zahlung der Kosten entkommt. Denkbar wären hier etwa Fälle, dass jemand urheberrechtlich geschütztes Material mit der Werknutzungsbewilligung eines Dritten verwendet hat, der selbst - für den Betreffenden nicht erkennbar - gar nicht berechtigt war.
Entgehen kann man dem Unterlassungsanspruch und damit auch den Abmahnkosten, wenn keine Wiederholungsgefahr besteht. Aufgrund der strengen Anforderungen der Rechtsprechung - diese geht davon aus, dass bereits ein einmaliger Rechtsverstoß die Wiederholungsgefahr impliziert und die Beweislast dafür, dass dafür keine Gefahr besteht, den Rechtsverletzer trifft -, kommt es aber nur sehr selten dazu.
Literatur
- Alexander Putzer[ext]: Berechnung und Kontrolle von Anwaltskosten[ext] - Internet4Jurists, 3/2007
- Martin Bahr[ext]: Missbrauch der wettbewerbsrechtlichen Abmahnung im Bereich des Internet, 2003
- Ralf Hansen[ext]: Die Abwehr von Abmahnungen im Internet (als eBook erschienen bei ra-micro.de Anfang Oktober 2003)
- Wolf-Dieter Roth[wp]: Abmahner und Absahner: Anwälte packen aus, Heise/Telepolis am 15. Oktober 2003 (Das Internet als Geldmaschine für Juristen)
Netzverweise
- "Mir ist die Lust an der Branche ziemlich vergangen" - Wie Zalando eine Fashion-Bloggerin in die Abmahnfalle tappen ließ, Meedia am 1. April 2019 (Urheberrecht)
- Joerg Heidrich: Neue Urteile zum Abmahnmissbrauch, Heise-Online am 28. März 2008
- abmahnungswelle.de
- Die Lehre von der Abmahnung, abmahnwelle.de
Querverweise
Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten! |
Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Das Abmahnwesen von Internet4Jurists, 28. März 2008. |