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Falschwort

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Demokratiemanagement durch Techniken der Mentalvergiftung

Besonders wirksam sind Arten der Manipulation, die direkt auf den Kern unserer mentalen Kapazitäten zielen und dazu beitragen, Chaos in den Köpfen anzurichten, aus dem sich dann politischer Nutzen ziehen läßt. Diese Formen der Manipulation will ich, in Ermangelung eines geeigneteren Wortes, Mentalvergiftung nennen. Eine Mentalvergiftung kann auf eher affektive oder auf eher kognitive Bereiche unseres Geistes zielen.

Am einfachsten läßt sich dies auf affektivem Wege bewerkstelligen. Durch die Erzeugung von geeigneten intensiven Affekten läßt sich das Denken lähmen und die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Zentren der Macht ablenken und auf jeweils gewünschte Ablenk­ziele und Ablenk­themen richten.

Besonders erfolgversprechend ist dabei die systematische Erzeugung von Angst und Hass, die seit jeher zu den wirksamsten Instrumenten der Kontrolle der öffentlichen Meinung gehören. Lasswell[wp] stellte in seinem Standardwerk schon 1927 klar:

"Es darf keine Zweifel darüber geben, auf wen sich der Hass der Öffentlichkeit zu richten hat." [1]

Durch die Erzeugung von Haß läßt sich auch Ängsten ein geeignetes Zielobjekt geben, auf das sich dann Affekte des Volkes richten können. Dadurch ist sichergestellt, dass sich Empörungs­energie und Veränderungs­bedürfnisse nicht gegen die Zentren der Macht richten. Auch die struk- turelle Erzeugung von Ängsten auf sozio-ökonomischen Wege - beispielsweise ein hohes Maß von beruflichem Stress, gesellschaftliche Versagens­ängste und Ängste vor sozialem Abstieg - läßt sich für dieses Ziel nutzen. Weitere Methoden, die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Zentren der Macht abzulenken, sind Zerstreuung durch eine mediale Überflutung mit Nichtigkeiten[2], Konsumismus[wp], Ausbildung von Falsch-Identitäten oder Infantilisierung.[3]

Es gibt also eine sehr reichhaltige und seit Jahrzehnten systematisch ausgearbeitete Palette von Techniken affektiver Mental­vergiftungen, durch die die Interessen der Machteliten verschleiert und die Bürger von einer gesellschaftlichen Artikulation ihrer eigenen Interessen abgehalten werden sollen.[4]

Eine Mentalvergiftung kann auch auf unsere kognitiven Kapazitäten zielen und unser Denken so vergiften, dass keine Form rationaler Argumentation hilft, es - wie es in der Zeit der Aufklärung hieß - wieder heller in den Köpfen der Menschen werden zu lassen. Am einfachsten lässt sich dies über geeignete Begriffe und über Bedeutungs­verschiebungen von Begriffen bewerkstelligen. Hierzu gehören insbesondere all die Orwellschen Falschwörter, mit denen Politiker und Leitmedien versuchen, über die Sprache auch unser Denken zu bestimmen. Beispiele lassen sich im Überfluß finden, etwa Freihandel, Lohn­neben­kosten, Protestwähler, Rettungs­schirm, Terrorismus, humanitäre Intervention, Kollateral­schäden, oder Globalisierungs­kritiker.

Die Wirksamkeit solcher Begriffe beruht darauf, dass wir von Natur aus zu einem gewissen Wort­aber­glauben neigen und damit zu der Überzeugung, dass Wörter auch Sach­verhalte wider­spiegeln. Wir neigen also dazu, vor­gefundene Wörter zur Organisation unserer Gedanken naiv zu verwenden. Dabei übersehen wir, was Wörter alles an ideologischem Gehalt und an stillschweigenden Vor­annahmen transportieren. Leider ist es ausgesprochen schwierig, unseren natürlichen Wort­aber­glauben zu überwinden und zu einer Haltung zu kommen, die - gerade im politischen Bereich - jedes Wort als ein Päckchen ideologischer Vorannahmen ansieht, das man zunächst sorgfältig aufschnüren muß. Eine solche Haltung, Wörter in ihrer Bedeutung und ihrem ideologischen Ballast kritisch zu hinter­fragen, bedarf intensiver Schulung. Genau auf diesen Aspekt einer Ideologiekritik hatte man in der Zeit der Aufklärung den Blick gerichtet und sehr wirksame Methoden der Identifikation verborgener Vorurteile und ideologischer Elemente entwickelt. Verständlicher­weise haben die herrschenden Eliten kein Interesse daran, dass diese Methoden in den Sozialisations­instanzen der Gesellschaft gelehrt und tradiert werden.

Eine weitere Klasse kognitiver Mentalvergiftung stellen Denunziationsbegriffe und Diffamierungs­begriffe dar. Unter solchen Begriffen erfreuen sich gegenwärtig Begriffe wie Querfront, Verschwörungstheorie, Antiamerikanismus, oder Populismus besonderer Beliebtheit bei den Macht- und Funktions­eliten. Diese Begriffe haben eine perfide Logik: Sie beruhen auf einer bestimmten Form einer gedanklichen Verklammerung unterschiedlicher Themenbereiche, durch die suggeriert wird, zwei gänzlich unabhängige Themenbereiche seien gleichsam ihrem Wesen nach miteinander verwoben. Auf diese Weise sollen speziell Themen, deren öffentliche Diskussion die Machteliten und die sie stützenden Eliten­gruppen als unerwünscht und abträglich für ihren Status ansehen, dadurch in Diskredit gebracht werden, dass sie mit Themen verklammert werden, die geächtet sind oder als anrüchig gelten - wie etwa rechtsextreme oder rassistische Auffassungen. Durch eine solche Verklammerung können sich die Macht­eliten und Funktions­eliten vor Kritik immunisieren, indem sie bestimmte Themenbereiche aus dem öffentlichen Diskussions­raum verbannen.

Begriffe wie Querfront dienen nicht nur dazu, Kritik von den Zentren der Macht abzulenken, sondern auch dazu, eine Selbstzersetzung linker Positionen zu befördern. Dabei sind es nicht nur die Machteliten selbst, die daran ein Interesse haben, sondern auch die Vertreter einer reformistischen system-offenen Linken, die ihre symbiotische Haltung zur Macht damit zu verdecken suchen, dass sie den öffentlichen Denkbereich auf vernünftige, also system-stabilisierende Ziele zu begrenzen suchen. Verklammert man also eine an die Wurzeln gehende linke Machtkritik mit dem Vorwurf einer Nähe zu rechten Positionen, so wird diese Kritik gleichsam als infiziert mit geächtetem Gedankengut markiert und damit wieder zu einem gedanklichen Sperrgebiet.

Solche Kontaminations- und Pathologisierungs­begriffe, wie Querfront, mit denen eine fundamentale Kritik an den tatsächlichen Zentren der Macht als unzulässig markiert werden soll, sind besonders bei den intellektuellen und journalistischen Wasser­trägern der Mächtigen beliebt. Sie gehören zur Sprache des Opportunismus, mit der man bekundet, dass man um die Gunst der Mächtigen buhlt und gerne bereit ist, sich in den Dienst der jeweils herrschenden Ideologie zu stellen.

Andere Verklammerungsbegriffe, insbesondere Anti-Amerikanismus und Populismus, weisen eine komplexere Verwendung auf. Sie werden ebenfalls als Denunziations- und Diffamierungs- begriffe verwendet, um eine fundamentalere Kritik an den Machteliten zu blockieren. Zugleich jedoch bezeichnen sie zutreffend tatsächlich vorkommende Haltungen und gesellschaftliche Phänomene, die einer ernsthaften öffentlichen Diskussion bedürfen.

Anti-Amerikanismus als politischer Kampfbegriff

[...] In politisch relevanten öffentlichen Diskussionen spielt der Begriff eines Anti-Amerikanismus im Sinne eines anti-amerikanischen Ressentiments kaum noch eine Rolle. Hier wird vielmehr der Begriff Anti-Amerikanismus als reiner Verklammerungs­begriff und als politischer Kampfbegriff verwendet, um tiefer­gehende Kritik an den Machtzentren einer Hegemonial­macht zu blockieren. Der US-amerikanischer Historiker Max Paul Friedman[wp], der die Geschichte dieses Konzeptes nachzeichnet und analysiert, sieht im Konzept des Anti-Amerikanismus in erster Linie einen politischen Kampfbegriff zur Abwehr von Kritik; dieser Begriff diene vor allem zur ideologischen Stabilisierung der Idee des amerikanischen Exzeptionalismus.[5]

Populismus als politischer Kampfbegriff

Auch Populismus ist - ähnlich wie Anti-Amerikanismus - ein Verklammerungs­begriff mit einer komplexeren Verwendung. Populismus beinhaltet im Kern eine Form der politischen Kommunikation, die durch volksnahes Sprechen und unzulässige Vereinfachungen auf Affekte zielt. In diesem Sinne sind natürlich alle unsere großen Volks­parteien extrem populistische Parteien. Wenn sich die großen Parteien durchgängig selbst ausgesprochen populistischer Methoden und Strategien bedienen, stellt sich natürlich die Frage, warum sie so beharrlich den Begriff Populismus als politischen Kampf- und Aus­grenzungs­begriff verwenden.

Die Antwort findet sich in einem weiteren charakteristischen Merkmal populistischer Haltungen, nämlich einer fundamentale Kritik an den Eliten.[6] Es ist gerade dieser Aspekt, der den Machteliten natürlicherweise sehr mißfällt. Wie läßt sich nun eine solche Fundamentalkritik an den Machteliten zum gedanklichen Sperrgebiet machen und somit aus dem als vernünftig anzusehenden Diskussions­raum ausgrenzen? Dies läßt sich wieder durch eine geeignete Verklammerung mit geächteten Haltungen bewerkstelligen.

Dazu ist in diesem Fall der Rechtspopulismus mit seinen ideologischen Kern­elementen sehr hilfreich.[7] Auf Seiten einer völkischen Rechten wird die Gegen­über­stellung von Volk und Eliten noch einmal verschärft. Jedoch ist bei ihr mit Volk nicht einfach das Staatsvolk gemeint, sondern ein ethnisch weitgehend homogener Volkskörper. In diesem Denken wird die Einheit und Intaktheit des Volkskörpers nicht mehr durch Rasse-Identitäten gestiftet, sondern durch kulturelle Identitäten oder nationale Identitäten - Konzepte, die ebenso Fiktionen sind wie der biologische Begriff von Menschen­rassen. Die Aufgabe einer politischen Führung sei es nun, den Volkswillen zum Ausdruck zu bringen. Die gegenwärtigen Eliten seien dazu jedoch nicht in der Lage, weil sie zu korrupt und unmoralisch seien. Der Rechtspopulismus richtet sich also direkt gegen die da oben - nicht jedoch, weil er grundsätzlich gegen eine Eliten­herrschaft ist, sondern weil er gegenwärtige Eliten durch eine nationalistisch bis rassistisch gesinnte Elite ersetzen will.

Damit bietet sich der Rechtspopulismus für eine begriffliche Verklammerung mit denjenigen populistischen Haltungen an, die - wenn auch aus völlig anderen Gründen - ebenfalls eine fundamentale Kritik an den Eliten beinhalten. Verklammert man in dieser Weise populistische Haltungen mit Rechts­populismus, so läßt sich eine Kritik an den Eliten zu einem generellen gedanklichen Sperrbereich machen. Denn durch eine solche Verklammerung möchten die Eliten suggerieren: Wer sich gegen das Establishment und die Machteliten richtet, neigt auch zu extremistischen Einstellungen, wenn nicht gar zum Rassismus, und steht somit außerhalb des demokratischen Diskurses. Genau diese Ausgrenzungs­möglichkeit macht den Populismusvorwurf bei den Eliten so beliebt.

Rainer Mausfeld[8]

Einzelnachweise

  1. "There must be no ambiguity about who the public is to hate." - Harold D. Lasswell[wp]: Propaganda Technique in the World War, New York, 1927
  2. Die Bedeutung einer Überflutung mit Nichtigkeiten für die Frage, wie man Menschen dazu bringen kann, ihre Knechtschaft[wp] hinzunehmen, wurde auch von Aldous Huxley erkannt. Huxley schreibt 1958, dass man früher der Auffassung gewesen sei, bei der Identifikation von Propaganda ginge es bloß um die Frage, ob eine Nachricht wahr oder falsch sei. Eine solche Auffassung ginge jedoch völlig an dem vorbei, was tatsächlich "in unseren kapitalistischen Demokratien" passiert ist, nämlich "die Entwicklung einer Medien­industrie, der es nicht um richtig oder falsch geht, sondern die sich mit mehr oder weniger völlig irrelevanten Dingen beschäftigt. In anderen Worten: Die frühen Vorstellungen über Propaganda haben versäumt, den fast unersättlichen Drang des Menschen nach Ablenkung durch Nichtig­keiten zu berücksichtigen." Hier bleibt die tiefergehende Frage, welche gesellschaftlichen und psychologisch Faktoren erst psychische Entwicklungen wie einen "Drang zu Nichtigkeiten" (und zu trash und junk) entstehen lassen. Aldous Huxley (1958). Brave New World Revisited. New York: Harper.
  3. Dabei werden auch natürliche regressive Bedürfnisse des Menschen nach Passivität und Abgabe von Verantwortung mißbraucht.
  4. Diese Techniken sind daher ein wesentliches Element von Methoden der sozialen Befriedung und der Erzeugung von Duldung und Zustimmung; siehe zu den entsprechenden historischen Entwicklungen in den USA: Steven Fraser (2015). The Age of Acquiescence: The Life and Death of American Resistance to Organized Wealth and Power. New York: Little Brown
  5. Max Paul Friedman (2012). Rethinking Anti-Americanism: The History of an Exceptional Concept in American Foreign Relations, Cambridge University Press
  6. zu Merkmalen und Erscheinungsformen des gegenwärtigen "populistischen Zeitgeistes" siehe z.B.: Cas Mudde (2004). The Populist Zeitgeist. Government and Opposition, 39, 541-563. Koen Abts & Stefan Rummens (2007). Populism versus Democracy, Political Studies, 55, 405-424
  7. siehe hierzu z.B. Cas Mudde (2007). Populist Radical Right Parties in Europe. Cambridge University Press
  8. Pdf-icon-extern.svg Die Angst der Machteliten vor dem Volk - Ausarbeitung[ext] - Seiten 11-14, 16-17
    Youtube-link-icon.svg Die Angst der Machteliten vor dem Volk - Demokratiemanagement durch Soft-Power-Techniken - IPPNW Hamburg (19. Februar 2017) (Länge: ab 37:00 Min.)